Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Knut Wenzel: Poesie des aufgegebenen Worts

Das Werk eines Fundamentaltheologen und Dogmatikers der Katholischen Theologie – diesen Fachrichtungen ist die Professur Knut Wenzels an der Universität zu Frankfurt zugeordnet – ist gemeinhin ein Kompendium zu philosophisch möglichst stringent begründeten theologischen Theoremen oder Glaubensgewissheiten. Der Titel seines neuen, seit 2019 vorliegenden Buches verweist aber auf eine interdisziplinär ausgreifende Thematik und erzeugt zudem eine erste Irritation mit dem doppeldeutigen Partizip in der Formulierung „des aufgegebenen Worts“: Es beschreibt einerseits die Aufgabe im Sinne der zu erfüllenden Arbeit, Bestimmung oder Pflicht, die mit dem Wort verbunden sein mag, andererseits aber ihr vordergründiges Gegenteil, das resignierte Aufgeben und Fallen- oder Gehenlassen desselben. Eine schnelle Erklärung dieser dialektischen Volte findet sich in der disparaten Sammlung literarisch inspirierter Essays aus etwa 25 Jahren nicht, denn sie ist ein Kaleidoskop mannigfaltiger Deutungen, Analysen und Assoziationen.

Je tiefer die Lektüre in das Buch hineinführt, umso mehr entsteht der Eindruck eines Labyrinthes: Themen, Autoren/innen, literarische und musikalische Formen, Epochen wechseln sich in schneller Folge ab, ebenso die Herangehensweisen. Mannigfaltige Nebenwege ohne Hauptweg enden oftmals irgendwo, scheinbar ohne Ziel, als schillernde Sackgassen. Nach circa zwei Dritteln des Umfanges aber fesselt das zwölfte Kapitel „Wörtliches Schweigen. Auf Eugen Gomringers Schweigen zu“ mit einem Zitat des Nicolaus von Cues (1401 bis 1464), das den Ariadnefaden endlich bereitzuhalten scheint: „Alles, was ausgesagt werden kann, drückt nicht das Unsagbare aus, und doch sagt jedes Reden das Unaussagbare.“ (164) Das klingt nach dem „und doch“ wie die ganze Wahrheit zur halben des frühen Ludwig Wittgenstein „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (7, Tractus logico-philosophicus) und lässt erkennen, welchem Fixpunkt die kreisenden Fahrten und literarischen Streunereien durch die Werke von Emily Dickinson über Ryszard Kapuscinski, Albert Camus bis zu Nirmal Verma zuletzt doch folgen, was sie verbindet, in welche Richtung selbst die wie unfertig endenden Überlegungen streben: Sie wollen die Worte über, von und sogar gegen Gott als des zuletzt Unnennbaren in der Vielfalt der literarischen (und auch musikalischen) Sprache aufsuchen! Das „Gott in allen Dingen suchen“ des Ignatius von Loyola wird hier zum „Gott in allen Worten aufspüren“, zu einem erweiterten Theo-Logie-Begriff. Nun wird klar: Das „und doch sagt jedes Reden das Unsagbare“ des Cusaners klang schon in der Einleitung prosaisch an, wo es hieß „Die Theologie wendet sich an die Literatur nicht, um bei ihr eine Ordnung des Wildwuchses der Lebenskraft zu finden, vielmehr hofft sie auf die Öffnung ihres, der Lebenswelt, Subjektgrundes durch das literarische Werk.“ Sie muss dabei „heterogen zu werden bereit sein“ (8) und darf mit Wenzel prinzipiell eigentlich jeder „Rede“ nachspüren, die ebenso frei wächst wie idealiter jedes individuelle Leben, aus dem sich die ästhetische Formung im Sinne künstlerischer Autonomie speist. Wenzel greift dabei wesentlich weiter aus als auf die explizit an religiösen Themen und Motiven ausgerichtete Literatur, die seit den 1990er Jahren wieder eine zunehmend anerkannte Position im deutschen Literaturbetrieb behauptet; er zieht selbst agnostisch ausgerichtete Literaten wie Albert Camus heran, der mit seiner tief humanen Haltung dem konkreten Menschen und nicht zuletzt seiner illiteraten Mutter gegenüber etwas bezeugte, was mit ausdrücklich christlich grundierter, den inkarnierten Gott anerkennender Sprache nicht glaubwürdiger gesagt werden könnte.

Im gleichen Erscheinungsjahr wie die „Poesie des aufgegebenen Worts“ erschien von Knut Wenzel auch „Die Wucht des Undarstellbaren: Bildkulturen des Christentums“ (bei Herder) – auch dies offenbar ein Ausweis der grundlegenden Annahme Wenzels, dass der religiöse Diskurs eine Neubeschreibung der Welt ist, welche als der künstlerischen Weltaneignung verwandt betrachtet werden kann, eine These, die der Autor bereits 2008 in „Glaube in Vermittlung. Theologische Hermeneutik nach Paul Ricoeur“ herausgearbeitet hat. Gerade das poetisch geformte Wort hält demnach für die erweiterte Theologie die genuine Aufgabe der Gottsuche im Logos bereit, bei der diese es zugleich aufgeben muss, die „Worte des Lebens“ axiomatisch einzubetonieren.

Die Weiterungen einer in diesem Sinne entfesselten Theologie können, wie Wenzel demonstriert, furios sein, so dass man ihr Ungenauigkeiten nachsieht, wie etwa jene, Friedrich Nietzsche habe „immer gegen das Tragische gekämpft“ (166), welches dieser aber doch in einem auf den Existenzialismus schon vorausweisenden Sinne angenommen und philosophisch veredelt hat. Gelegentlich unpräzise Formulierungen oder philologisch Fragwürdiges im Detail stehen dem grundsätzlichen Erkenntnisgewinn nicht im Wege. Zudem: Die von Wenzel in seinen jüngsten Werken praktizierte Erweiterung des Theologie-Verständnisses und der Glaubensvermittlung sind bitter nötig. Es ist ihm zu wünschen, dass seine jüngsten Werke breite Rezeption erfahren und auf ihrer Grundlage eine wieder verständlichere und wirksamere Reformulierung des christlichen Menschen- und Gottesbildes möglich wird. Es wäre vorstellbar, dass die traditionellen Ikonen durch solche theologischen Kaleidoskope wieder neu betrachtet und beleuchtet würden, auch wenn der erste Eindruck sie als gebrochen erscheinen ließe.

Zwischen Macht und Zärtlichkeit, Schweigen und Erzählung, Schuld und Rettung: Theologische Lektüren in den Gefilden der Literatur
Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. 2019
269 Seiten
28,00 Euro
ISBN 978-3-7867-3153-5

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