Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ludger Schenke: Das Johannesevangelium

 

Ludger Schenke, pensionierter Professor für Neues Testament der Universität Mainz, hat in dem zu besprechenden Buch viele Überlegungen seiner jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Johannesevangelium zusammengetragen. Er selbst verweist im Nachwort darauf, dass die meisten dargelegten Erwägungen „schon einmal vorgetragen und in manchen Monographien und Aufsätzen auch veröffentlicht“ (231) wurden. Nicht zuletzt Schenkes Kommentar zum Johannesevangelium scheint hier Pate gestanden zu haben, weisen beide Publikationen doch einen ähnlichen Aufbau auf. Allerdings ist der Kommentar, der auch online abrufbar ist (https://publications.ub.uni-mainz.de/opus/frontdoor.php? source_opus=3634), um ca. 140 Seiten umfangreicher und lädt damit zum Weiterlesen und vertiefteren Lesen ein.

Das vorliegende Buch möchte durch seinen nicht streng wissenschaftlichen Stil (keine Fußnoten, Literaturverzeichnis in Auswahl) den Lesenden den Zugang zum Johannesevangelium erleichtern. Dazu hat der Verfasser das Evangelium in 11 Texteinheiten eingeteilt, die er „Bilder“ nennt; daneben stehen Prolog, Nachspiel, Epiloge und Buchschluss. Ein Einführungskapitel leitet in die grundlegenden Fragen zum Johannesevangelium ein. Einführung und Texteinheiten sind in insgesamt 60 Kurzkapitel eingeteilt, die auch je für sich gut lesbar sind. Da dadurch aber für die inhaltliche Konsistenz der einzelnen Kapitel manche Themen öfter angeschnitten werden müssen, führt das beim Lesen des gesamten Buches an manchen Stellen zu Redundanzen. Über sie kann man aufgrund der erfreulichen Lesefreundlichkeit des Buches hinwegsehen. Schon das Inhaltsverzeichnis ermöglicht eine gezielte Suche von Textabschnitten, von bestimmten Stichworten johanneischer Theologie (z.B. „Die Zeichen Jesu“; Nr. 17) oder von wichtigen Personen des Evangeliums (z.B. „Der ‚geliebte Jünger‘“; Nr. 41). Querverweise erleichtern die Arbeit und vernetzen inhaltlich verwandte Themen miteinander.

Der Kommentierung geht jeweils eine relativ wörtliche Übersetzung des griechischen Textes voraus. Für seine Auseinandersetzung mit dem Evangelium wählt der Autor dann aber keine Vers-für-Vers-Auslegung, sondern verwendet die Kurzkapitel dazu, Bemerkungen zu Form, Aufbau, Entstehung des Textes und seiner literarischen Wirkung als Komposition zu machen, aber auch evangelienübergreifende Themen, die im besprochenen Abschnitt vorkommen, zu vertiefen. Besonders zu erwähnen sind die immer wieder auftauchenden Reflexionen zur Textpragmatik, in denen der Autor Verständnis für die Situation der johanneischen Gemeinde wecken will (z.B. Nr. 8 und Nr. 46) und sich darüber hinaus Gedanken macht, wie der Text über die Erstadressaten in der johanneischen Gemeinde hinaus wirkt. Dabei geht Schenke von der Endgestalt des Johannestextes aus, auch wenn er mit literarischen Vorstufen rechnet (vgl. 31: „Welche Notwendigkeit besteht nun, diese Vorstufen genau zu kennen, um das Buch verstehen zu können?“).

In den Kapiteln gibt der Bibelwissenschaftler die nötigen Basics für das Verständnis des Evangeliums wieder, ohne die Lesenden mit der manchmal komplizierten Theologie des Johannes zu überfordern. Vielmehr gelingt es ihm, die johanneische Theologie verständlich zu beschreiben. Dabei steht er ganz auf der Seite des Evangelienautors, dessen Kunstfertigkeit in Textkomposition und theologischem Denken er zeigen möchte. Darüber hinaus versteht Schenke das Johannesevangelium als Drama, da dessen Spezifikum der Dialog bzw. die großen dramatischen Szenen seien. Die narrativen Passagen, die die Handlungen in der erzählten Welt überliefern, stünden im Dienst der Dialoge und würden letztlich zum gesprochenen Wort hinführen und sich diesem unterordnen. Die johanneischen Figuren sprächen eine literarische Sprache und würden sich somit als vom Autor geschaffene literarische Figuren zeigen. Unter Verweis auf Aristoteles‘ Poetik bezeichnet Schenke das Johannesevangelium deshalb als Lese- oder Rezitationsdrama, da es „über alle zum Drama gehörenden Merkmale“ (226) verfüge. Daran anschließend greift er eine Idee auf, die er schon in verschiedenen Publikationen (z.B. Bibel und Kirche 62 [2007], 175-179) stark gemacht hat. Er plädiert für das laute Vorlesen des Textes z.B. in einer Vigilfeier. Denn es geht Schenke um die Wertschätzung des Gesamttextes des Evangeliums, der in der Passivität des Hörens eine ganz andere Wirkung entfalte als im stillen Lesen.

Ludger Schenke ist insgesamt eine gut lesbare, verständliche und arbeitsfreundliche Einführung in das Johannesevangelium und seine Theologie gelungen.

Vom Wohnen Gottes unter uns
Freiburg: Herder Verlag. 2018
234 Seiten
25,00 €
ISBN 978-3-451-38170-6

Zurück