Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Luzia Schlösser (Hg.): Licht-Zeichen. Die Kunst von Johannes Schreiter

Er hat unzählige farbige Kirchenfenster in ganz Deutschland und weit darüber hinaus geschaffen. Seine „Licht-Zeichen“ sind im Bistum Limburg etwa in Frankfurt – in der Festeburgkirche Preungesheim (1968), in der Kapelle des Rhein-Main-Flughafens (1984) und in der Wahlkapelle des Frankfurter Doms (1993) – sowie in Limburg – in der Marienkapelle des Doms (1976) und jüngst in der Bischofskapelle (2011/12) – präsent. An der Städelschule in Frankfurt wirkt er von 1963 bis 1987 als Professor für freie Malerei und Grafik; seine zur Heimat gewordene Stadt Langen ernennt ihn 2013 zum Ehrenbürger. So ist es nur konsequent, dass das Deutsch Glasmalerei-Museum Linnich dem bald 90-jährigen Johannes Schreiter, der zu den weltweit bedeutendsten zeitgenössischen Glasmalern zählt, eine konzentrierte Ausstellung widmet; sie umfasst neben unterschiedlichen Flachglasarbeiten auch Entwürfe, Zeichnungen und Collagen.

Dokumentiert wird diese Schau in einem ausgezeichnet gestalteten und reich bebilderten Katalogbuch, das neben Grußworten vier Textbeiträge über „Die Kunst von Johannes Schreiter“ enthält, wobei der Aufsatz von Christine Jung über dessen künstlerische Entwicklung und Bildsprache herausragt. Gunter Sehring hat drei instruktive Übersichten – zu Schreiters Biografie sowie zu wichtigen Werken in öffentlichen Gebäuden (112f) und Museen (114f) – beigesteuert. Luzia Schlösser und Christine Wolff stellen (leider allzu knapp) zwischen 1962 und 2012 entstandene Werke des Künstlers vor, darunter die Glasfenster für die Neue Synagoge in Aachen (1995); weitere Aufträge für die Synagogen in Kassel (2000) und Chemnitz (2001) belegen die Wertschätzung des Glasmalers über den kirchlichen Raum hinaus. Mit dem Abdruck zweier Gedichte seiner Ehefrau Barbara und seinen korrespondierenden Zeichnungen bekommt das Buch eine persönliche Note. Hilfreich wären ein Glossar der Fachbegriffe sowie ein Verzeichnis der Beiträger gewesen, weiß doch nicht jeder, dass Brian Clarke, der als junger Mann bei Schreiter studierte, inzwischen selbst ein renommierter Glasmaler ist.

Der 1930 in Annaberg-Buchholz geborene Schreiter wählt unter dem Eindruck von abstraktem Expressionismus und Informel den künstlerischen Weg der Abstraktion. Zwischen 1960 und 1975 setzt er sich vornehmlich mit der Schwarz-Weiß-Zeichnung, der Druckgrafik und der von ihm 1959 erfundenen Brandcollage, die ihn weithin bekannt macht, auseinander. Für den Betrachter ist die Brandcollage eine sinnenfällige Metapher für die Vergänglichkeit aller Existenz; für den Künstler ereignet sich das Malen mit Feuer auf Papier im Zusammenspiel von Zufall und Steuerung. Das gilt gleichermaßen für die Zeichnung, die für Schreiter die Grundlage einer verständlichen visuellen Sprache bildet. Bei ihm ist es die freie informelle Linie, die mit dynamischem Strich in stabile serielle Strukturen eindringt und sie in Bewegung versetzt. Auf dieser bildnerischen Linie bewegt sich ab den 1960er Jahren eine bedeutsame glasmalerische Innovation: Der Glasmaler befreit die Bleirute von ihrer technischen Funktion, die farbigen Glasscherben miteinander zu verbinden, indem er sie als ein autonomes Mittel grafischer Gestaltung einsetzt – wie sich gut an der auf dem Cover des Katalogs abgebildeten Scheibe erkennen lässt.

Mit der Zeit erweitert der Künstler sein Bildvokabular durch den Einsatz linearer Strukturen, von Schrift und Partituren; die kontrovers diskutierte Darstellung einer Doppelhelix auf einem Entwurf für die Heidelberger Heiliggeistkirche ließ sich nicht vor Ort realisieren. Weitere Chiffren bilden – im Anschluss an die Brandcollagen – das Brandmotiv und das nicht in Vollgestalt ausgeführte Kreuz. Auf dem Cover lässt sich ein weiteres, vielfach variiertes Zeichen erkennen, das sich als U-Form, Klammer oder eckiges Hufeisen bezeichnen lässt. Abgeleitet von der geöffneten Hand lässt es sich als ausgestreckte Arme, als Öffnen und Empfangen sowie Kommunikation und Verständigung deuten. Gleich mehrere solcher U-Formen sind auf dem Cover zu entdecken, deren Öffnungen in unterschiedliche Richtungen weisen.

Bei der Scheibe handelt es sich um (keine architekturgebundene, sondern) eine freie, 74 x 73 cm große von der Werkstatt Derix Glasstudios in Taunusstein realisierte Flachglasarbeit mit dem Titel „S.D.G.16/2015/GB ‚Für Barbara’“. S.D.G. steht für Soli Deo Gloria und ist daher ein religiöses Bekenntnis. In den 1980er Jahren wird der Künstler von einer lebensbedrohlichen Erkrankung heimgesucht, die ihn zu einem „Paradigmenwechsel hin zu Christus“ (Schreiter) veranlasst. Seitdem ändert sich auch seine Kunstauffassung: Es „verschwindet das Dunkle, Finstere aus seinen Bildern und das Lichte hält ebenso wie die Farbe auf weiten Flächen Einzug in sein Werk“ (Christine Jung) – was sich ebenfalls an der seiner Gattin gewidmeten Scheibe nachvollziehen lässt.

Bemerkenswert ist Schreiters Verhältnis zur ehrwürdigen Tradition der Glasmalerei: Als abstrakter Künstler setzt er sich von seinen figürlichen Vorgängern ab, mit dem Einsatz der Bleirute und beim Umgang mit dem Glas setzt er ein altes Erbe fort und praktiziert weiterhin Malerei mit Glas. Zu Recht kann er als religiöser Künstler bezeichnet werden, weil seine Arbeiten spätestens nach seiner „Umkehr zu Christus“ (Schreiter) nicht nur die (radikale) Endlichkeit menschlicher Existenz, sondern ebenso die Hoffnung auf deren Überwindung ins Bild bringt.

Im gelungenen Katalog finden sich hilfreiche Hinweise zum Verständnis der (gar nicht so) abstrakten Schreiter’schen Bildsprache, die freilich – wie jede gute Kunst – offen für durchaus unterschiedliche Interpretation bleibt. Die empfehlenswerte Ausstellung ist noch bis zum 27. Oktober 2019 in Linnich zu sehen.

Linnich: Deutsches Glasmalerei-Museum. 2019
123 Seiten m. farb. Abb.
22,00 €
ISBN 978-3-946278-02-3

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