Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Manfred Lütz: Der Skandal der Skandale

 

Titel und Umschlagtext versprechen Großes: „Die geheime Geschichte des Christentums“ und „spektakuläre Ergebnisse“ werden dem Leser angekündigt. Manfred Lütz will die Geschichte der „unbekannteste(n) Religion der westlichen Welt“ (9) wissenschaftlich darstellen und landläufige Falschinformationen widerlegen, kurz: „Aufklärung im besten Sinne“ (12) betreiben. Dazu bedient der Autor sich des 800 Seiten starken Buches „Toleranz und Gewalt“ von Arnold Angenendt, dessen Ergebnisse er „einer breiteren Öffentlichkeit“ (12) zugänglich machen möchte.

Die zwölf Kapitel des Buches widmen sich Entstehung und Ausbreitung des Christentums im ersten Jahrtausend, Kreuzzügen, Inquisition und Hexenverfolgung, Indianermission und Aufklärung sowie Konfliktfeldern im 19. und 20. Jahrhundert. Den Abschluss bilden ein Kapitel mit dem Titel „Skandale am laufenden Band“ zu den Themen Frauen, Sexualität und Kindesmissbrauch sowie ein Ausblick auf das 21. Jahrhundert.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Problem an Lütz’ Buch ist vor allem, wie er schreibt und was er nicht schreibt. Die Fakten mögen dort, wo sie auf Angenendts Buch zurückgehen, größtenteils wissenschaftlich valide sein. Doch der Stil ist zu salopp und teils deplatziert, mitunter dominiert ein reißerischer Grundton („Machen Sie sich auf spektakuläre Ergebnisse gefasst!“ auf Seite 20). Vor allem aber fehlt allzu oft eine inhaltliche Differenzierung, stattdessen finden sich zahlreiche Pauschalisierungen.

Sehr vereinfacht wird die Ausbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten (35–48) als meist friedliche Expansion beschrieben, die intoleranten Haltungen vieler Christen in der nachkonstantinischen Ära gegenüber Juden und Heiden finden nur am Rande Erwähnung. Die Darstellung des Investiturstreits bleibt unterkomplex, wenn die Bedeutung des sakralen Königtums einfach ausgeblendet wird (47). Bei den Kreuzzügen (68-87) kritisiert Lütz zwar christliche Massaker und betont, dass die Kriegsdynamik mitnichten der Idee des Christentums als einer Friedensreligion entsprach. Wenn er aber kurz darauf den Umgang mit der Gewalt in Islam und Christentum vergleicht, erweckt er beim Leser den Eindruck, das Unrecht der einen mit dem der anderen Seite aufzurechnen.

Das Kapitel zur Aufklärung (173-192) liest sich als Erfolgsgeschichte des Christentums, das – so eine der zentralen Thesen des Buches – die Menschenrechte (Menschenwürde) erfunden habe. Doch dass die Kirche „die befreiende Sprengkraft der christlichen Botschaft zu allen Zeit klar gesehen“ habe (187), widerlegt Lütz selbst durch das Zitat Gregors XVI. von der Gewissensfreiheit als „Wahn“ aus dem Jahr 1832 (193). Auch die Darstellung des Ersten Vatikanums bleibt undifferenziert, wenn Argumente gegen das Unfehlbarkeitsdogma und historische Kontexte nicht beleuchtet werden (198–202). Dagegen wird beklagt, dass die „Aussage des Dogmas grotesk zum Skandal“ verfälscht worden sei und dass „das Ganze (…) hysterische Züge“ (201) angenommen habe.

Zu den etwas differenzierteren Kapiteln zählen die Abschnitte über Inquisition und Hexenverfolgung (90-111, 126-131, 145-160). Lütz stellt die Fortschritte des Inquisitionsverfahrens als eines an rationalen Kriterien orientierten Prozesses dar und räumt mit Legenden über die spanische und römische Inquisition sowie die Hexenverfolgungen auf. Dabei werden Folter, Grausamkeit und Gewalt nicht beschönigt, aber im historischen Kontext verortet.

Auch das Kapitel zum 20. Jahrhundert (205-245) gehört – stellenweise – zu den besseren Teilen. Der Autor betont die ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Euthanasie und beurteilt die Rolle Pius’ XII. differenziert vor dem Dilemma, zwischen Chancen und Risiken eines öffentlichen Protestes gegen den Nationalsozialismus abzuwägen.

Diese wenigen besseren Teile können allerdings nicht über den schwachen Gesamteindruck hinwegtäuschen: Zu fehlender inhaltlicher Differenzierung, mitunter allzu großen Sprüngen und unsachgemäßen Pauschalisierungen kommen ein oft fragwürdiger Stil sowie zahlreiche Seitenhiebe auf andere Konfessionen, Religionen und Medien, wobei Einzelaussagen oft kontextlos präsentiert werden. Das alles hinterlässt einen eher apologetischen als wissenschaftlichen Eindruck. Lütz’ eigenes Fazit nach all den vermeintlichen „Skandalen“ lautet denn auch: „Es ist geradezu verhext. Wie immer es die katholische Kirche anstellt, am Ende ist sie das Opfer.“ (276)

Fazit: Lütz’ Buch wird dem eigenen wissenschaftlichen Anspruch nicht gerecht, auch deshalb, weil Zitate durchweg nicht exakt belegt werden und Fußnoten fehlen. Schließlich sucht man ein Register und ein Literaturverzeichnis vergebens. Wer an einer fundierten, ausgewogenen und mit Quellenangaben belegten Darstellung interessiert ist, der sollte lieber das Original von Angenendt oder eine gute Einführung in die Kirchengeschichte zur Hand nehmen.

Die geheime Geschichte des Christentums
Unter Mitarbeit von Professor Dr. Arnold Angenendt
Freiburg: Herder Verlag. 2018
286 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-451-37915-4

Zurück