Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Manuel Nägele: Die Bibel auslegen. Eine Methodenlehre

Dieses Buch ist eine sehr kenntnisreiche und umfassende Methodenlehre zur Auslegung biblischer Texte. Man spürt beim Lesen die Leidenschaft des Verfassers für sein Thema und seine vielfältigen Erfahrungen, vor allem in der neutestamentlichen Exegese. Das besondere Profil des Buches liegt zum einen darin, dass es sich auf alt- und neutestamentliche Texte bezieht. „Altes Testament“ meint dabei implizit den evangelischen Kanon ohne die Spätschriften. Zum anderen setzt Nägele für die Anwendung der Methoden keine Hebräisch- oder Griechischkenntnisse voraus. Allerdings nimmt er seine Leserschaft trotzdem in die Pflicht, sich mit den Urtextausgaben zu beschäftigen und philologisch präzise zu arbeiten.

Die vorgestellten Methodenschritte decken das Spektrum ab, das man bei einer Herangehensweise erwarten kann, die der aktuellen historisch-kritischen Exegese verpflichtet ist. Nach einer Einführung sind die Schritte in vier Phasen gegliedert: Annäherung – Entstehung des Textes – vorliegende Gestalt – Auslegung. In den einzelnen Abschnitten wird jeweils auf Beispieltexte eingegangen; es gibt allerdings keinen „Master-Text“, an dem alle Methodenschritte einmal exemplarisch durchgespielt werden. Und bei der abschließenden Auslegung der Texte hätte man sich vielleicht eine kurze Reflexion zum Unterschied zwischen alttestamentlichen und neutestamentlichen Texten gewünscht oder auch etwas zur Wirkungsgeschichte und ihrer Bedeutung für die Auslegung heute. Das sind aber nur kleine Hinweise, die den Gehalt dieses materialreichen Überblickes im Detail noch abrunden könnten.

Nägele verweist bei den einzelnen Methodenschritten jeweils auf die entsprechenden Abschnitte in anderen aktuellen Methodenbüchern, so dass man seine Ausführungen ohne lange Suche weiter vertiefen kann. Er geht auf die Nutzung von Bibelsoftware ein und nennt ganz selbstverständlich Internetquellen als wichtige Hilfsmittel. Bei den deutschsprachigen Bibelwebseiten fehlt allerdings www.die-bibel.de, obwohl gerade dort die hebräischen und griechischen Texte direkt mit den deutschen Übersetzungen verglichen werden können.

Die wichtigste Frage bei diesem Buch ist wohl, an wen es sich eigentlich richtet. Nägele nennt Theologiestudierende, die keine biblischen Sprachen lernen, aber exegetische Seminararbeiten schreiben. Darüber hinaus soll es einer fachfremden Leserschaft Zugang zur Auslegung biblischer Texte ermöglichen. Das ist eine interessante und wichtige Zielgruppe. Allerdings scheint sie nicht so ganz zur Intensität der exegetischen Arbeit zu passen, zu der das Buch anleiten will. Schon bei Theologiestudierenden mit Sprachkenntnissen ist es schwierig, sie überhaupt von der Notwendigkeit der Textkritik zu überzeugen. Dann fragt man sich, ob die Ausführungen dazu für die genannte Zielgruppe in dieser Form hilfreich und notwendig sind. Nun kann man dieses Kapitel ja einfach überspringen. Aber an diesem Beispiel zeigt sich besonders deutlich, was letztlich auch bei den anderen Methodenschritten gilt. Allein durch den Verzicht auf Sprachkenntnisse wird aus einer Methodenlehre auf der Höhe des fachwissenschaftlichen Diskurses noch kein Buch etwa für Lehramtsstudierende oder gar Laien. Das bestätigt die bei den einzelnen Arbeitsschritten zur Verwendung empfohlene Literatur. Wer das umsetzen will, braucht schon die gut sortierte Universitätsbibliothek einer theologischen Fakultät. Dagegen fehlen im Literaturverzeichnis Studienbibeln wie etwa die Stuttgarter Erklärungsbibel und ähnliche Werke, die sich auf wissenschaftlichem Niveau genau an die von Nägele eigentlich anvisierte Zielgruppe richten.

Manuel Nägele spricht in der Einleitung davon, dass er ein Konzentrat bisheriger Methodenbücher zusammenstellen will. Das ist ihm gelungen. Eine Methodenlehre zur Auslegung biblischer Texte, die auch für Laien hilfreich ist, stelle ich mir dagegen anders vor.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2022
224 Seiten m. Schemata
20,00 €
ISBN 978-3-579-05485-8

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