Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Mariano Delgado / Michael Sievernich (Hg.): Die großen Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils

Auf dem Sterbebett noch hatte Johannes XXIII gesagt, wir seien durch das Konzil gerade erst dabei, das Evangelium selbst neu zu verstehen: Nicht nur um den Katholiken gehe es, sondern um jeden Menschen, nicht nur um die katholische Kirche, sondern um die Menschenrechte. 50 Jahre danach ist also der „Sprung nach vorn“ des Konzils mit zu vollziehen, im Sinne einer gefährlichen Erinnerung und einer realistischen Bestandsaufnahme. 

Höchst originell und treffend ist deshalb die Intuition der Herausgeber, gerade unter dem Gesichtspunkt der Metaphern die revolutionäre Bedeutung des letzten Konzils sammelnd und perspektivierend zu verdichten. Denn Metaphern sind, noch in der Sprache des heutigen Griechenlands, „Verkehrsmittel“. Sie transportieren zeit- und sachgemäß, wie sich jeweils der Glutkern des Evangeliums in den Zeichen der Zeit darstellt, erkennt und stets neu ausformuliert. Ein kompetenter Kreis von Fachleuten schreitet das immense Gelände entsprechend ab: zur Hermeneutik des Konzils, Kirche und Liturgie, Welt und Kultur, Evangelisierung, Religionen, Spiritualität. Alle zentralen Stichworte wie „Hierarchie der Wahrheiten“, „Zeichen der Zeit“, „Volk Gottes“ etc. werden so dargestellt, dass der zeitgeplagte Praktiker an der schulischen Basis schnelle und präzise Orientierung findet. 

Im Einzelnen wird man sicher kräftig über Perspektive und Auslegung der Einzelbeiträge zu diskutieren haben – aber alle bringen, je nach theologischem Akzent und kirchenpolitischer Position verschieden, die wirklich wichtigen Themen und Gesichtspunkte des Konzils zur Sprache und auf den Punkt. Merkwürdig ist nur, dass die ökumenische Thematik und Dynamik des Konzils und ihre Bedeutung für heute überhaupt keinen eigenen Beitrag gefunden hat. Einige Beiträge beschränken sich fast ausschließlich auf die Rekonstruktion des intendierten Originalsinns der Konzilstexte, wie z.B. Kardinal Müller, andere gehen fortschreitend originell darüber hinaus, wie z.B. der Beitrag von Benedikt Gilich und Gregor Maria Hoff zum Atheismus-Problem. Immer sind Grundfragen der Hermeneutik im Spiel, die eigens in fünf Beiträgen akzentuiert entfaltet werden. Angesichts des heutigen Interesses an Spiritualität und Interreligiosität sowie an Evangelisierung und missionarischer Seelsorge schließt dieser Band treffend mit dem, was im Sinne des konziliaren „Aggiornamento“ (Heutig-Werden) zentrale Aufgabe zu sein scheint. Insofern ist der Schlussbeitrag von Mariano Delgado über „die Mystik des Konzils“ in der Tat der wichtigste Brückenschlag: Denn die Offenbarungs-Konstitution war es, die die mystisch zentrale Kategorie der „Gottesfreundschaft“ wieder in den Mittelpunkt der Pastoral, der Theologie und des christlichen Selbstbewusstseins gerückt hat. Nicht minder wichtig sind entsprechend die Beiträge zu den vielleicht prophetischsten Texten des Konzils: der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute und das Dekret über die Religionsfreiheit. 

Im Sinne einer Hermeneutik des Vermissens lässt sich freilich die Frage stellen, wie sehr sich die Zeiten zwischen Konzil und heute, also nach 50 Jahren, schon radikal verändert haben. Man denke nur an die unglaubliche Rasanz in der Entwicklung der Medienlandschaft, aber auch an jene Spiritualität der Postmoderne, in der die Frage nach Gott in einer Weise neu zur Frage steht, von der das Konzil damals noch keine Ahnung hatte. Diese Spannung zwischen damals und heute – sowohl hermeneutisch wie historisch und theologisch – scharf in den Blick zu nehmen, hätte im Ansatz des äußerst hilfreichen Buches und durchgängig sichtbar in jedem Beitrag m.E. noch zugespitzt werden können. 

Umgekehrt sind ja viele Zentralaussagen des Konzils bis heute nicht wirklich angekommen, so dass schon ihre kundige Interpretation ein Verdienst ist. Immer noch sprechen z.B. Verantwortliche in Theologie und Kirche von „der“ Kirchenkonstitution (und meinen „Lumen gentium“), während doch die eigentlich theologische Revolution des Konzils darin besteht, ihr eine zweite Kirchenkonstitution an die Seite gestellt zu haben (nämlich „Gaudium et spes“) – und erst die elliptische Spannung zwischen beiden lässt erahnen, wie sehr der real existierenden Christenheit hierzulande das Konzil noch bevorsteht. Bleibt zu vermerken, dass ein gutes Personenregister der Arbeit mit diesem gewinnbringenden Buch dienlich ist, ein Sachregister wäre noch hilfreicher gewesen. 

Freiburg u.a.: Herder Verlag. 2013
456 Seiten
24,99 €
ISBN 978-3-451-34051-2

 

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