Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Markus Friedrich: Die Jesuiten

Kein Orden der Kirchengeschichte wurde zugleich so glorifiziert und verteufelt wie die Jesuiten. Seit der Gründung war die Gesellschaft Jesu Vor- und Feindbild. Bis heute gibt es diese Polarisierung in Veröffentlichungen. Die Jesuiten sind nicht selten entweder heiligmäßige Streiter für die Kirche oder subversive Dunkelmänner. Da hilft ein nüchterner, historischer Blick. Markus Friedrich hat nach seinem 2016 erschienenen monumentalen Band über die Geschichte des Ordens mit einem Schwerpunkt auf der Frühen Neuzeit (Die Jesuiten. Aufstieg – Niedergang – Neubeginn, München: Pieper Verlag 2016) nun in der Reihe „Beck Wissen“ einen knappen Überblick im Taschenformat vorgelegt. Wie der Verfasser zu Beginn erläutert, soll es ohne Apologetik oder Polemik um die historischen Fakten gehen, die Leistungen und Schwächen des Ordens gleichermaßen offenlegen (8).

Zwischen der Gründung durch Ignatius von Loyola und dem heutigen Orden, der mit Papst Franziskus aktuell sogar das Kirchenoberhaupt stellt, liegen verschiedene Phasen, die der Band nachzeichnet. Als Orientierungsmarken dienen herausragende Generalobere, die die Gestalt des Ordens prägten, wie Claudio Acquaviva, Muzio Vitelleschi, Luigi Fortis, Jan Philipp Rothaan, Wlodimir Ledóchowski oder Pedro Arrupe. Auch die Perspektiven der einzelnen Jesuitenprovinzen kommen nicht zu kurz. Herausforderungen, Errungenschaften und Konflikte der jeweiligen Epochen werden so deutlich. Der erste Teil des Bandes widmet sich dem Aufstieg der Bewegung um Ignatius von Loyola, die 1540 die päpstliche Bestätigung erhielt und sich bis ins 17. Jahrhundert zu einer der prägendsten Kräfte der katholischen Konfessionskirche der Frühen Neuzeit entwickelte. Die Bedeutung des Jesuitenordens für die Seelsorgepraxis, das Schulwesen, die Wissenschaft, Literatur und Kunst im katholischen Europa wird genauso sichtbar wie der Einsatz für die Mission in Nord- und Südamerika, China, Indien und Japan. Zwei Karten im Einband des Buches erleichtern es, den „jesuitischen Boom“ in den ersten 100 Jahren des Bestehens des Ordens nachzuvollziehen. Anhand des Jansenismus- und Ritenstreits des 17. und frühen 18. Jahrhunderts werden antijesuitische Strömungen vorgestellt, die schließlich den Boden für das Verbot des Ordens durch Papst Clemens XIV. im Juli 1773 bereiteten.

Mit der Schilderung der Hintergründe der Wiederzulassung des Ordens durch Pius VII. im August 1814 beginnt der zweite Teil des Werks, der sich mit der „Neuen Gesellschaft Jesu“ befasst. Friedrich verdeutlich hierbei, wie das Verbot von 1773 und das Leben im Untergrund über 1814 hinaus nachwirkten und den Anschluss an das Papsttum begünstigten. Die Jesuiten wurden zur Speerspitze des antimodernen, ultramontanen Katholizismus im 19. Jahrhundert – und damit europaweit zum Feindbild säkularistischer und antiklerikaler Kreise sowie Zielscheibe kulturkämpferischer Maßnahmen. Der Einsatz der Ordensleitung für das Ideal einer zentralistischen Papstkirche im Umfeld des Ersten Vatikanischen Konzils (1869-1870) und danach verlangsamte die positive Auseinandersetzung des Ordens mit der Moderne. Dass es gerade auch unter Jesuiten innovative Denker gab, wird unter Verweis auf Neuansätze im Bereich der Theologie, der Soziallehre, der internationalen Zusammenarbeit und der Seelsorge im 20. Jahrhundert klar. Dass diese bis in die 1950er Jahre oft gegen die römische Ordensleitung erkämpft wurden, wird zumindest erwähnt. Auch der unterschiedliche Umgang der Ordensmitglieder mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts wird charakterisiert. Ein abschließender Überblick zur jüngsten Geschichte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) verdeutlicht zudem den Wandel im Selbstverständnis des jesuitischen Apostolats in der modernen, globalisierten Welt.

Markus Friedrich ist eine facettenreiche und gut lesbare Einführung gelungen, die den Einstieg in die Geschichte hinter dem Ordenskürzel „SJ“ ermöglicht. Die vielen Beispiele illustrieren die Entwicklung des Ordens weltweit. Auch dunkle Kapitel der Ordensgeschichte wie die Beteiligung an der Kolonialisierung Lateinamerikas, antisemitische Tendenzen oder die Haltung zum Faschismus in Italien und Spanien werden nicht ausgespart. Die ausgewogene Darstellung räumt mit verbreiteten Klischees auf und zeigt die Vielfalt jesuitischen Lebens auf.

Von Ignatius von Loyola bis zur Gegenwart
C.H. Beck Wissen
München: C.H. Beck Verlag. 2021
128 Seiten m. s-w Abb.
9,95 €
ISBN 978-3-406-77544-4

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