Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Martin Belz: Pfarreien im Wandel

Mit Blick auf die derzeit in Deutschland auf dem Synodalen Weg verhandelten Fragenkomplexe wird immer wieder auf die Konzilszeit und die auf sie folgenden Umbrüche in Kirche und Gesellschaft verwiesen. Es scheint, als seien die Jahre zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Würzburger Synode (1971-1975) bestens erforscht. Tatsächlich ist es so, dass hier erhebliche Forschungsdesiderate zu verzeichnen sind, kirchenhistorische Untersuchungen weithin fehlen. Dieser Leerstelle hat sich Martin Belz in seiner Promotionsschrift zugewandt und exemplarisch die Situation in Frankfurt anhand der Entwicklungen in vier repräsentativen Pfarreien untersucht (St. Bernhard und St. Michael im Nordend, St. Bonifatius in Sachsenhausen und St. Gallus im Gallusviertel). Er wertet dazu erstmals die Pfarrarchive, die Akten der Stadtpfarrer Alois Eckert und Walter Adlhoch sowie die Bestände des Diözesanarchivs Limburg aus. Der Verfasser hat die Entwicklungen unter drei Aspekten betrachtet: Pastoralkonzepte, Laienpartizipation und Liturgiereform – ein Konzept, das überzeugt.

Belz zeigt an sehr sorgfältig gewählten, sprechenden Beispielen auf, wie sich das Verständnis von der volkskirchlichen „Pfarrfamilie“ zu einem pluralen Verständnis von „Gemeindekirche“ gewandelt hat. Als Beispiel für die transformierten Seelsorgekonzepte sei die Jugendseelsorge angeführt: Von der geschlechtergetrennten Kinder- und Jugendarbeit mit festen Gruppenstunden ging man seit Mitte der 1950er Jahre den Weg zu einem freizeitorientierten, offenen Angebot, das sich auch an weniger kirchlich verortete Jugendliche richtete („Jugendclub“). In der Studie ist gut ablesbar, wie sich wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg die bis dahin üblichen Rekrutierungsveranstaltungen überlebt hatten: Volksmissionen wurden durch Exerzitien abgelöst, im liturgischen Bereich wich die Fronleichnamsprozession dem Gemeindefest. Die „Katholische Aktion“, die sich als Zuarbeit für den Pfarrer verstand, wurde nach dem Konzil von den Synodalen Gremien abgelöst, in denen Amt und Mandat zusammenarbeiten. Mit dem gewandelten Rollenverständnis gingen auch Enttäuschungen einher. Am Ende der ersten Amtsperiode der Gremien (1972) wurde wohl guter Wille attestiert, genauso aber die mangelnde Effektivität der Arbeit.

Wie sich die Kirche der Öffnung zur Welt stellt, wird in den genannten Pfarreien an der Bildungsarbeit und der Neukonzeption der Caritas deutlich. Bundesweit hat die Pfarrei St. Michael, angeleitet durch das dort ansässige Oratorium Philipp Neri und namentlich Pfarrer Alfons Kirchgässner, mit ihren ökumenischen Versuchen von sich reden gemacht. Die evangelische Kirche war durch die Epiphaniasgemeinde mit ihrem Pfarrer Horst Bühler vertreten. Der Autor zeigt das am Beispiel der sog. ökumenischen Eucharistiegemeinschaft auf, die sich des Vorwurfs der Interzelebration und Interkommunion ausgesetzt sah. Der Konflikt endete mit dem Eingreifen des Limburger Bischofs Wilhelm Kempf. Letztlich kamen in St. Michael und andernorts die Aufbruchsbewegungen durch Veränderungen der personellen Konstellationen zu ihrem Ende. Aus Sicht der Frankfurter Katholiken kontrastierte in den 1970er Jahren häufig die eigene Fortschrittlichkeit mit der Rückständigkeit des übrigen Bistums, vor allem aber mit der der Bistumszentrale in Limburg. Belz kann zeigen, wie sich das gewachsene Stadtkirchenbewusstsein und das dort eingeübte Subsidiaritätsprinzip kaum mehr mit dem Handeln der Hierarchie, die die Gesamtheit des Bistums nicht aus dem Blick verlieren wollte, vermitteln lässt.

Restaurative kirchliche Tendenzen treten in Frankfurt nur in den wenigen ersten Nachkriegsjahren hervor, bereits zu Beginn der Fünfziger Jahre ist in der Mainmetropole, wohl auch durch den enormen Wirtschaftsaufschwung bedingt, ein Abbruch der Kirchlichkeit nicht mehr zu verhindern. Reformbemühungen der 1960er Jahre entfalten in den Kerngemeinden Wirkung, das Konzil führt nochmals zu einer Belebung, bleibt aber ein „Teil jener umfassenden Transformationsprozesse“ (443), die sich im urbanen Katholizismus der Zeit nach 1945 mit ihren Aufwärts- und Abwärtstendenzen ereignen. Belz beschreibt, wie die Pfarreien parallel zu deutlichen Säkularisierungstendenzen ihr Angebot enorm ausweiteten, differenzierten und individualisierten. Regelmäßig wurde gerade von Laien diskutiert, was denn das katholische Proprium der Angebote in Jugendarbeit, Liturgie oder Erwachsenenbildung ausmache. Der „binnenkatholische Zusammenhalt“ der unmittelbaren Nachkriegszeit „existierte spätestens nach dem Konzil nicht mehr“ (444).

Die Monographie von Martin Belz ist spannend zu lesen, gut gegliedert und sie greift in ihrer Bedeutung weit über die vier untersuchten Pfarreien hinaus. Das Bistum Limburg sollte nach 1971 mehrfach turbulente Zeiten durchleben, die in Frankfurt jeweils eine eigene Dynamik entwickelten und Auswirkungen auf das gesamte Bistum zeitigten. Die „Pfarreien im Wandel“, noch mehr die Prägung der Stadtkirche in der Nachkonzilszeit lässt erkennen, wo (kirchen-)historische Erklärungen zu suchen sind.

Pastoralkonzepte, Laienpartizipation und Liturgiereform in Frankfurt am Main 1945-1971
Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 142
Paderborn: Brill Schöningh. 2022
522 Seiten
99,00 €
ISBN 978-3-506-79120-7

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