Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Martin Thurner (Hg.): Eugen Biser. Die Hauptwerke im Diskurs

Dass Eugen Biser (1918-2014) neben Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar zu den bahnbrechenden katholischen Glaubensdenkern im Übergang zum 21. Jahrhundert gehört, steht außer Zweifel. Dem Münchner Guardini-Professor (1974-1988) gelang es, mehr als hundert einschlägige Werke zu publizieren sowie landauf, landab durch Vorträge zu Fragen von Religionsphilosophie und Atheismus, Fundamentaltheologie, Medientheorie, Musik, Literatur und Bildender Kunst im Diskurs präsent zu sein. Ist seine Stimme auch in Zukunft vernehmbar? Und wie lässt sich ein Zugang zu seinem enzyklopädischen Werk gewinnen? Um den biserschen Wissenskosmos zu erkunden, startet Martin Thurner mit dem hier vorzustellenden Band eine Sonde, die den Denkraum des Gelehrten vermisst und seine Hauptwerke für Leserinnen und Leser erschließt.

Wesentlich für Bisers Ansatz, urteilt der Herausgeber in seiner „Einführung“, sei der Umstand, dass der Religionsphilosoph keineswegs „den Weg des geringsten Widerstands“ wählt, sondern sich fortgesetzt mit dem von Nietzsche verkündeten „Tod Gottes“ auseinandersetzt. Aber paradoxerweise – führt Hans Maier diesen Gedanken fort – finde „der Mensch trotz seiner Endlichkeit und Bedingtheit nur im Unbedingten Genüge. Diese Paradoxie wird für Biser zu einem Schlüssel zur Interpretation der Gegenwart, sie durchzieht und prägt sein ganzes Werk.“

Was das konkret bedeutet, zeigt das zweite Kapitel „Hauptwerke“. Darin gehen zwölf Wissenschaftler mit ausgewiesener philosophisch-theologisch-kulturwissenschaftlicher Expertise daran, die wichtigsten Schriften des universellen Denkers einzuordnen und angesichts vielfältiger Diskussionen um die „Möglichkeiten“ des Menschenseins – Biser spricht in diesem Zusammenhang von „Modalanthropologie“ – zu interpretieren. Anders als Nietzsche, der sich von der Faszination einer „übermenschlichen“ Option leiten lässt und damit den heutigen „Transhumanismus“ befeuert, erinnert der Gelehrte in seinem Œuvre an die biblische Tradition (Paradieserzählung). Danach sei der Homo sapiens keineswegs als Schöpfer seiner selbst dabei, sich evolutionär zur Gottheit, zum Homo deus (Yuval Noah Harari), aufzuschwingen. Vielmehr verpflichte ihn seine Geschöpflichkeit, achtsam mit seinen Nächsten und Mitgeschöpfen umzugehen und deren Bürge zu sein. Exemplarisch führt der Luxemburger Theologe und Philosoph Jean Greisch zu Bisers zentraler Schrift „Der Mensch – das uneingelöste Versprechen“ (1995) aus: „Die göttliche Wo-Frage (‚Adam, wo bist Du?‘) lässt sich nicht von der menschlichen Gegenfrage: ‚Wo ist dein Gott?‘ (PS 42,2) … ablösen. Bisers Besinnung auf den Abruf- und Anrufcharakter des menschlichen Daseins endet mit der These, dass Jesus selbst schon den Anspruch erhob, der höchste Weisheitslehrer‘“ zu sein.

Das dritte Kapitel trägt die Überschrift „Trilogie“. Es bezieht sich auf drei inhaltlich eng miteinander verknüpfte Texte, die aus dem Nachlass veröffentlicht wurden („Gotteskindschaft“, „Christomathie“, „Geistesgegenwart“). Charakteristisch erscheint dabei Bisers enge Verzahnung von Anthropologie und Christologie. Indem er das elementare Bezogensein des Menschen auf seinen Schöpfer als „Gotteskindschaft“ ausweist, gelingt ihm ein enormer Bedeutungszuwachs dieses Begriffs. In der Interpretation des gleichnamigen Bandes gelangt der Systematische Theologe Walter Dietz zu der Einsicht, die eigentliche Stoßrichtung bestehe darin, „ein Gegenmodell zu Friedrich Nietzsches Idee des Übermenschen zu entwickeln … Eugen Bisers Konzept der Gotteskindschaft zielt auf eine demütige, ganz untitanische, ja mystische Überwindung des natürlichen Menschseins.“

„[D]as Christentum von seinem Ursprung her als Gestaltungsfaktor der Welt neu zu verstehen“ – darin sieht Richard Heinzmann die Substanz von Bisers „Theologie der Zukunft“. Der Beitrag des Münchner Philosophen beschließt als „Ausblick“ den darstellenden Teil des Buches. Mit seinem Ansatz, so Heinzmann, durchbreche „Biser alle Engführungen und Abgrenzungen der Theologie hinein in die Offenheit der Transzendenz Gottes … Am Ende steht als letzte Einsicht die Forderung einer theologischen Systemänderung nach den Prinzipien des Ursprungs: Liebe und Freiheit.“

Der von Martin Thurner herausgegebene Sammelband erweist sich mit der beigefügten Zeittafel, seinem kommentierten Personenregister sowie vielfältigen Hinweisen zu Leben und Werk Eugen Bisers als wertvolles Arbeitsmittel. Das Buch zeigt darüber hinaus in teilweise glänzender Diktion, dass es ohne Theologie nicht gelingt, die eine, zentrale Frage zu beantworten: Was ist der Mensch?

Mit einer Zeittafel zu Leben und Werk Eugen Bisers
Freiburg: Herder Verlag. 2020
624 Seiten
49,00 €
ISBN 978-3-451-38832-3

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