Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Martin W. Ramb / Holger Zaborowski (Hg.): Helden und Legenden

In der zweiten Szene von Brechts „Mutter Courage“ kommt es zu einem kurzen, aber denkwürdigen Dialog zwischen der gleichnamigen Protagonistin und dem Koch. Denn gegenüber der geläufigen Auffassung, Heldentum sei etwas Großes, stellt sie fest: „Überhaupt, wenn es wo so große Tugenden gibt, das beweist, dass da etwas faul ist.“ Und sie begründet diese Auffassung damit, dass nur dort, wo „etwas faul“ sei, menschliche Tugenden als Kompensationsleistung gefordert seien. Denn „in einem guten Land brauchts keine Tugenden“. Auf eine ähnliche Weise dekonstruiert Dr. Rieux, der absurde Held in Camus‘ Erzählung „Die Pest“, sein eigenes Heldentum. Er sieht nämlich, dass seine eigene moralische Größe zu Lasten der Pestopfer erstrahlt, so dass er sich eher den Opfern verbunden weiß als den Helden.

Vor diesem Hintergrund ist es zunächst überraschend, dass der Kultursommer 2015 in Rheinland-Pfalz unter dem Motto „Helden und Legenden“ stand. Martin W. Ramb (Bischöfliches Ordinariat Limburg) und Holger Zaborowski (Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar) haben dazu einen gleichnamigen Begleitband herausgegeben, der als Untertitel dann auch die Frage stellt, „ob sie uns heute noch etwas zu sagen haben“. Gar nicht überraschend ist es dann, dass in vielen der 30 Beiträge eine deutliche Skepsis gegenüber der Institution „Held“ begegnet. Dazu trägt die deutsche Vergangenheit bei, in welcher der „Heroenkult der NS-Zeit“ das Heldentum als Medium der Verführung und Unterwerfung pervertiert hat. Freilich begegnet uns gerade in dieser Zeit das Heldentum nicht nur in der Gestalt der Verführung, sondern auch im Modus des Widerstands. Dennoch gilt hier die Feststellung von Abt Andreas Range: „In die früheren politischen Systeme passte der Held besser als in die Demokratie.“

Freilich fallen Demokratien nicht vom Himmel, sondern sie müssen ihrer totalitären Vorgeschichte abgetrotzt werden. Darum würdigen wiederum viele Beiträge die Wegbereiter einer demokratischen Kultur. So setzt Joachim Hofmann-Göttig, u.a. Oberbürgermeister der Stadt Koblenz, den Trümmerfrauen ein Denkmal, die nach dem Krieg den Wiederaufbau seiner Heimatstadt eingeleitet haben. In gleicher Weise erinnern einzelne Beiträge an den DDR-Schriftsteller Henryk Bereska, den tschechischen Schriftsteller und späteren Präsidenten Václav Havel sowie an Dietrich Bonhoeffer. Brigitte Seebacher-Brandt porträtiert in diesem Sinne ihren Ehemann Willy Brandt, der seinerzeit vor dem Nazi-Deutschland geflohen war und später als Politiker nicht nur in Fragen der Ostpolitik auf die herrschende Meinung seiner Partei nicht immer Rücksicht genommen hat. Man wird hinzufügen dürfen: Eine Demokratie, die als solche lebensfähig bleiben will, muss die Erinnerung an solche wegweisende Gestalten lebendig erhalten. Denn Freiheitsrechte bleiben nur dann gewahrt, wenn eine Gesellschaft das Bewusstsein institutionalisiert, dass diese Rechte in einem oft leidvollen und schmerzlichen Prozess haben errungen werden müssen.

Darin zeigt sich ein Zweites: Der historische Blick wahrt nur dann das Bewusstsein um die Unselbstverständlichkeit des heute scheinbar Selbstverständlichen, wenn er in gewisser Weise aus der Zeit aussteigt und die Geschichte in einem Verhältnis der Ungleichzeitigkeit betrachtet. In diesem Sinne setzen Helden „Alteritätsmarkierungen“ (Eckhard Nordhofen). Entsprechend halten historische Gestalten wie die zuvor genannten in der gegebenen Welt das Bewusstsein einer anderen Welt lebendig. Dies gilt dann auch, aber eben nicht allein, für Jesus Christus und seine Mutter Maria, von denen Sybille Lewitscharoff und Hermann Kurzke sensible Porträts formulieren. Es gilt genauso für einen Menschen wie den Maler Karl Willems, der zunächst einmal als Künstler die Gegenwart aus einer Haltung des Abstands betrachtet, dann aber auch zu einer Kunst auf Abstand geht, die selbst zum Kunstbetrieb erstarrt.

Von hier aus ergibt sich ein Drittes: Held ist man nicht für sich, sondern wird man wird dazu durch die Zuschreibung anderer. Der Held stellt sein individuelles Leben in den Dienst von etwas Größerem. Insofern besteht seine persönliche Größe darin, dass er sich als Individuum klein macht und zum Medium wird, das einem Anderen Raum gibt. Dies zeigt sich nicht nur bei den Heiligen, von denen der bereits zitierte Abt Range feststellt, dass ihre Siegertreppe nicht wie im Sport nach oben, sondern nach unten führe. Es gilt genauso für alle Menschen, die, statt sich einem gegebenen Mainstream anzugleichen, ein Bewusstsein dessen zu gewinnen versuchen, was für sie – und jeweils nur für sie – an der Zeit ist. In diesem Sinne wollen und sollen Helden – das Wort geht uns heute nur noch schwer über die Lippen – gerade keine Idole sein, die zur kopienhaften Nachahmung einladen, sondern sie sollen ein Beispiel geben für ein Selbstsein, das sich nicht blind dem unterwirft, was gerade angesagt ist. Und in dieser besonderen Hinsicht haben wir Vorbilder und Helden vielleicht gerade in der Zeit von Dschungelkönigen und Germans next Topmodels besonders nötig.

 

Göttingen: Wallstein-Verlag. 2015

248 Seiten m. Abb.

14,90 €

ISBN: 978-3-8353-1691-1

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