Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Martina Steinkühler: Die Mädchenbibel. Mit Illustrationen von Angela Gstalter

 

Martina Steinkühler ist keine Unbekannte, wenn es um die Elementarisierung der Bibel geht. Die evangelische Religionspädagogin verfasst seit vielen Jahren Unterrichtsmaterialien, Bibelgeschichten, Schulbücher und Kinderbibeln mit dem bibeldidaktischen Konzept: „Subjektiv, deutlich und offen. Erzählend Gott zur Sprache bringen.“ Sie regt dazu an, sich die Geschichten „auszuleihen“ und sie zu erzählen, weil es etwas Wichtiges mitzuteilen gibt, das auch jenseits der Intention und Pragmatik der biblischen Geschichte liegen kann. Der Klappentext der Mädchen-Bibel verspricht denn auch: „Ein faszinierender und spannender Einblick in die Welt der Bibel – aus der Sicht von Mädchen und Frauen“ und im Prolog heißt es: „Es wird Zeit, die Bibel aus ihrer Sicht zu erzählen. Es werden die vertrauten Erzählungen sein, und doch anders. Mehr privat als öffentlich – so, wie es der Rolle der Mädchen entsprach in biblischer Zeit; und immer wird es um Beziehungen gehen, zwischen den Menschen und zwischen Gott und den Menschen. Denn so entspricht es uns, Mädchen und Frauen zu aller Zeit.“ (7)

In 14 Kapiteln – 10 zum Alten und 4 Neuen Testament – lässt Steinkühler unterschiedliche Erzählerinnen auftreten. Die ersten vier Kapitel zu den Erzelternerzählungen werden von einer von Saras Mägden, Rebekkas erster Magd, Rahels erster Magd und Dinas erster Magd bestritten. Das Kapitel zum Exodus wird von Moses Schwester Mirjam erzählt, die Ereignisse um Jericho aus dem Buch Josua von Rahab. Geschichten aus der Richterzeit erzählen die Magd von Jeftah und Deliahs Mutter, während Rut und Michal selbst zu Wort kommen. Im Kapitel zu Michal weicht die Autorin insofern von ihrem Erzählkonzept ab, als sie im Anhang noch einen Brief Davids an Michal hinzudichtet. Im neutestamentlichen Teil, der hauptsächlich auf dem Lukasevangelium sowie dem Beginn der Apostelgeschichte fußt, kommen Elisabeth, Jesu Schwester Salome, Maria von Bethanien, Maria Magdalena und – anonym – die andere Schwester Jesu zu Wort.

Alle fiktiven Erzählerinnen bieten subjektive Perspektiven und erweisen sich nicht selten als unzuverlässige Erzählerinnen, denn das, wovon sie sprechen, kennen Bibelleser nicht selten ganz anders und wundern sich, wenn es Rebekka ist, die Gott herausgefordert haben will, und nicht Jakob, oder Mirjam erklärt: „Passa wird es heißen: Es geht vorbei.“ (120) Ähnliche Irritationen entstehen, wenn Rahel und Deborah – die hier zu Jeftahs Tochter wird und von ihrer Sklavin Dschinneh gerettet wird – erzählerisch gegen den Strich gebürstet werden. Was steckt dahinter? „Desgleichen gibt es zwei Geschichten: die, die ich euch erzählt habe, und die, die im Buch der Bücher verewigt ist. Meine Geschichte trägt in sich Hoffnung, jene aber macht die Hoffnung zunichte“, lässt die Autorin ihre Rahab sagen (160).

Spätestens hier wird klar, dass es nicht um biblische Lebens- und Erfahrungswelten geht, sondern um Gefühlswelten, in denen biblische Frauenfiguren gelebt haben könnten. Diese Figuren sind biblischen Texten entnommen oder entlehnt und erzählerisch und emotional frei weiterentwickelt. Das sorgt mitunter für interessante Geschichten, unklar bleibt aber, was das Buch erreichen soll und wer seine Zielgruppe ist. Für Mädchen im Grundschulalter ist der Text inhaltlich zu schroff, für Konfirmandinnen fast schon zu mädchenhaft. Unklar bleibt auch, ob er sich an Leserinnen richtet, die zum ersten Mal von den biblischen Erzählungen hören, oder an solche, die die Texte kennen. Diese Gruppe würde bemerken, wie vieles von der Bibel abweicht und sich möglicherweise gegen das Rollenklischee wehren, das in Mädchen und Frauen diejenigen sieht, die sich vor allem um Beziehungen kümmern und beziehungsorientiert denken.

Bei der Auswahl der Texte, die der Mädchen-Bibel zugrunde liegen, spart Steinkühler große Passagen der biblischen Literatur aus: Der alttestamentliche Teil beschränkt sich auf die Tora und ausgewählte Geschichtsbücher. Im neutestamentlichen Teil erfährt man nichts über die Mädchen, die sich in Briefliteratur oder Apostelgeschichte tummeln. Die Chance, Einblicke in ihre Lebenswelt zu vermitteln, bleibt ungenutzt. Insgesamt irritiert das Fehlen einer soliden sozialgeschichtlichen Perspektive. Hier bleibt das Projekt nicht nur unter seinen Möglichkeiten, sondern wird anfällig für den Zeitgeist. Fast immer wissen die „Mädchen“ (die meist längst erwachsene Frauen mit eigenen Kindern sind), Fremden und Sklavinnen – also die „konstruierten Anderen“ – mehr als Erwachsene und vor allem mehr als die Männer. Sie sind intuitiver und verständiger, aber auch deutlich (religions-)kritischer. Abraham und Sara werden (ebenso wie Rebekka und Isaak, Jakob, Lea und Rahel) fast völlig dekonstruiert. Insbesondere die Erzmütter kommen als narzisstische und herrische Herrinnen schlecht weg. Nur Sklavenmädchen sind gut, so will es scheinen.

Fazit: Es geht in der Mädchen-Bibel weniger darum, biblische Texte zu erklären als zu verheutigen. Das kommt in der Praxis eventuell gut an, in der Exegese sicher nicht. Während dort daran gearbeitet wird, die gröbsten Irrtümer und Missverständnisse über die Bibel aufzuklären und damit einem besseren Verständnis zu dienen – vgl. nur den vorzüglichen Band „Bibel falsch verstanden“, den Thomas Hieke und Konrad Huber herausgegeben haben – bleibt die Mädchen-Bibel mit einer Reihe von vermeidbaren sachlichen Fehlern hinter diesen Anliegen zurück. Damit scheidet sie aus exegetischer Perspektive als Einstiegslektüre in biblische Welten aus: Zu viel müsste zusätzlich erklärt und geradegerückt werden.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2021
320 Seiten m. farb. Abb.
24,00 €
ISBN 978-3-579-06215-0

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