Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Matthias Lindenau / Marcel Meier Kressig (Hg.: Religion und Vernunft – ein Widerstreit?

Der Titel trügt, denn allenfalls in einem der vier Beiträge geht es explizit um das Verhältnis von Religion und Vernunft. Wohl gibt der Untertitel „Glauben in der säkularen Gesellschaft“ den thematischen Konvergenzpunkt der vorliegenden Texte wieder.

In seinem Beitrag über „Figuren der Religionskritik und ihre Aktualität“ begreift Konrad Paul Liessmann Aufklärung primär als Religionskritik. Dabei stellt er zunächst die klassischen Positionen von Marx, Freud und Nietzsche dar. Sehr bewusst rückt der Autor aus wirkungsgeschichtlichen Gründen Nietzsche an das Ende seiner Darstellung. Denn er betont, dass dessen „toller Mensch“ seine Botschaft vom Tod Gottes nicht an Gläubige richtet, sondern an Atheisten. Diese klärt er nämlich darüber auf, was sie angerichtet haben, als sie Gott als Projektion zu durchschauen begannen. Damit vollzieht er eine Aufklärung über die Konsequenzen der Aufklärung. Denn nun müsse der Mensch in der Gestalt des von Nietzsche ausgerufenen „Übermenschen“ diejenige Rolle einnehmen, die einst Gott zugedacht war. In den heutigen Gestalten von menschlicher Selbstoptimierung, von „Enchancement und Transhumanismus“ werde dies deutlich und werfe die Frage auf, ob der Mensch sich damit nicht maßlos überfordere.

Wie wenig Glaube und Wissen gegeneinander ausgespielt werden können, zeigt dann Volker Gerhardt: Religiöser Glaube verarbeitet menschliche Erfahrung und ist somit wissensbezogen. Umgekehrt lebt der jeweilige Prozess wissenschaftlicher Forschung, der nach vorne hin stets ergebnisoffen ist, in seinem hohen Differenzierungsgrad von dem Glauben, dass sich die Fülle menschlicher Forschungsergebnisse letztlich zu einem sinnhaft strukturierten Ganzen fügt.

Während die beiden genannten Beiträge von der Frage geleitet sind, inwieweit Religion gegenwartskompatibel ist, ist für den dritten Beitrag diese Frage offensichtlich falsch gestellt: Die Suche nach einem „islamischen Luther“, der seiner Religion den gebotenen Modernisierungsschub verleiht, wird von Nadia Baghadi nämlich des Kulturkolonialismus verdächtigt. Die säkulare Gesellschaft mit ihrer Privatisierung von Religion sei nur eine Kulturgestalt unter vielen und dürfe sich nicht zum Maß der Bewertung fremder Lebensformen machen. Wo dies geschehe, entwickelten sich dann als Reaktion darauf diejenigen Formen von Religion, deren Fundamentalismus und Gewaltneigung wir zu Recht beklagen. Dabei werden der Prozess der Aufklärung und der säkulare Staat von der Autorin als Ausdrucksformen eines versteckten Protestantismus verdächtigt. Wenn man so etwas liest, fragt man sich freilich, wer hier die Ressentiments gegenüber den jeweils Anderen schürt. Und es ist schon merkwürdig, wenn dieser Verdacht aus der Sicht einer Religion geäußert wird, die diesem Staat hinsichtlich seiner Toleranzkonzeption doch die Möglichkeit ihrer Präsenz verdankt.

Überraschenderweise lässt auch Jan Assmann den aufgeklärten Leser an einer Stelle ratlos zurück. Zwar entwickelt er in seinem Beitrag die inzwischen bekannte Unterscheidung zwischen einem „Monotheismus der Wahrheit“ und einem „Monotheismus der Treue“ (vgl. dazu meine Rezensionen zweier u.a. von J.H. Tück herausgegebenen Sammelbände in EULENFISCH Literatur 1/2015 und 2/2017). Und es lässt sich wahrlich nicht leugnen, dass in der Geschichte des Monotheismus eine wesentliche Neigung zu Ressentiment und Gewalt begegnet. Allerdings bedient der diesjährige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels dann selbst die kritisierte Neigung, wenn er verbreitete antikirchliche Ressentiments neu belebt und dem Katholizismus „die mittelalterlichen Ketzer- und Hexenprozesse sowie die bis heute geübten Exkommunikationsverfahren“ vorwirft – Beschuldigungen, die nach den bahnbrechenden Studien von Arnold Angenendt in dieser Form nicht mehr erhoben werden sollten. So stellt sich die Frage, ob die von Assmann formulierte Vision eines Europas, das nicht mehr durch den Glauben an Gott, sondern durch den Glauben an den Menschen geeint ist, wirklich die kritisierte Gewaltaffinität überwindet oder sie nur in verwandelter Gestalt beerbt.

Glauben in der säkularen Moderne. Vadian Lectures Band 4
Bielefeld: transcript Verlag. 2018
109 Seiten
16,99 €
ISBN 978-3-83767-4162-2

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