Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Mehr Demokratie e.V. / BürgerBegehren Klimaschutz e.V. (Hg.): Handbuch Klimaschutz

Dieses Handbuch ist anders – nicht nur in der Größe A4, sondern in der klaren Ausrichtung und konkreten Umsetzung. Die Stimmen der neun Wissenschaftler zu Beginn wecken eine hohe Erwartung an Solidität der Information. Auftraggeber ist „Mehr Demokratie e.V.“, Projektträger das „Bürgerbegehren Klimaschutz e.V.“

Grafiken zu Klima, dem Handeln der Menschen und der Dynamik des Klimawandels geben einen ersten Überblick. Eine Zusammenfassung rundet den Einstieg ab. Fußnoten und wissenschaftliche Hintergrundinformationen wurden ins Internet ausgelagert https://handbuch-klimaschutz.de. Fragekästen am Ende jedes Kapitels regen zum Dialog über die jeweilige Lösung an. Wer noch daran zweifelt, dass eine ambitionierte Klimapolitik der Imperativ für dieses Jahrzehnt ist, profitiert besonders von der Lektüre. Die Zielgruppe ist zuerst die Zivilgesellschaft und die Politik, für den Schulunterricht der höheren Klassen eignet es sich ebenfalls.

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 ist ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, mit dem Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5°C bzw. deutlich unter 2,0°C zu begrenzen. Business as usual führt zu 4-6°C Erhitzung bis 2100 mit unabschätzbaren Folgen. Schon jetzt nähert man sich Kipppunkten an, die eine sich selbst verstärkende Dynamik auslösen. Tauende Permafrostböden, Brände in den Regenwäldern, in Kalifornien und Australien zeigen die Dringlichkeit.

Ausgehend von einem Restbudget an Emissionen, gemessen in Megatonnen CO2 -Äquivalenten (1TE = 1 Mt CO2 eq), zeichnet das Handbuch für Deutschland verschiedene Wege bis 2050 auf. Die Klimaziele der Bundesregierung reichen bei weitem nicht aus. Der Minderungspfad des Handbuchs ist ambitioniert, aber machbar. Weil die Zeit drängt und die Politik zu zögerlich ist, gibt es einen Exkurs zu einem Klima-Bürgerrat. Der Teil „Wege der Transformation“ schlüsselt die Quellen klimaschädlicher Emissionen auf und hiermit, an welchen Stelle anzusetzen ist.

Mit den richtigen Rahmenbedingungen gelingt Umstellung. Das zentrale Instrument ist ein angemessener, verlässlich steigender CO2-Preis, damit Unternehmen, Verbraucher und Kommunen in ihren Investitionsentscheidungen sich frühzeitig darauf einstellen können. Dazu gehört die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen, die in Deutschland jährlich etwa 50 Mrd. Euro betragen. Derzeit beträgt der CO2-Preis unter 50 €/TE, in anderen europäischen Ländern liegt dieser über 100 €. Die Schäden aller klimaschädlichen Emissionen werden auf 1800 €/TE geschätzt.

Allein am Preis zu schrauben reicht nicht, erst Alternativen und Änderungen im Planungs- und Ordnungsrecht ermöglichen den Umstieg. Beim Hausbau und der Sanierung braucht es Vorgaben hinsichtlich des Energieverbrauchs. Häuser, die ihre Energie für Strom und Wärme selbst erzeugen, gibt es schon längst. Das Elektroauto dient zudem als zusätzlicher Speicher. Wenn der Lebensstil sich an Effizienz und Suffizienz ausrichtet, lassen sich erhebliche Emissionen einsparen. Dazu gehört ein bewusster Konsum, was sicher kein Verlust bedeutet, sondern weniger Müll und Übersichtlichkeit im Kleiderschrank bewirkt. Seitens der Hersteller braucht es den Übergang in eine Kreislaufwirtschaft. Erfreulicher Nebeneffekt wäre, dass sich beispielsweise Mobiltelefone besser reparieren ließen. Weil Unternehmen untereinander in Konkurrenz stehen, helfen Industriestandards auf europäischer Ebene, denn Recycling beginnt beim Design.

Die Finanzierung der Transformation ist insofern weniger problematisch, da es sich um Investitionen handelt, die sich schon bald rentieren. In Zeiten der Krise und Null-Zins gibt es kaum bessere Möglichkeiten als in Erneuerbare Energien zu investieren, zumal andere Sektoren ebenfalls elektrifiziert werden. Investitionen in fossile Technologien sind hingegen riskant. Im Handbuch wird das Verlustpotenzial der „Carbon Bubble“ auf 43 Billionen Euro geschätzt. Deshalb schichten Shell und BlackRock um, die bisher gewiss keine Klimaschützer waren.

Die Transformationspfade in den Sektoren Energie, Wärme, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft, Bodennutzung und Abfallwirtschaft sind detailliert dargelegt. Es wurde ein Pfad mit klarer Richtung gewählt, ohne zu überfordern. Das Handbuch zeigt, wie Deutschland 2050 1,5°C-kompatibel werden kann, sofern der politische Wille vorhanden ist. Leider fehlt der Bezug zur Artenvielfalt. Dabei gehört die Biodiversität ebenso zu den Lebensgrundlagen wie das Klima. Beide sind tief miteinander verwoben und brauchen Schutz. Lichtverschmutzung, Straßen und Glasfronten bedrohen Vögel und Insekten deutlich stärker als moderne Windkraftanlagen.

Wie Deutschland das 1,5-Grad-Ziel einhalten kann
München: oekom Verlag. 2020
125 Seiten m. farb. Abb.
20,00 €

ISBN 978-3-96238-237-7

 

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