Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michael Heymel: Die Johannesoffenbarung heute lesen

 

Das Buch von Michael Heymel lädt ein, es zur Hand zu nehmen und mit ihm die Offenbarung des Johannes kennenzulernen: Es hat eine gefällige Größe, ist nicht so umfänglich, dass man es sich als Einstiegslektüre für das Kennenlernen der Offenbarung des Johannes nicht selbst zutrauen würde. Und – was man schon bei einem ersten Querlesen feststellt: Es ist gut lesbar.

Die Reihe «bibel heute lesen», zu der dieses Buch gehört, hat das erklärte Ziel, fundiert einzuführen, welche Spuren ein biblisches Buch in Theologie, Musik, Literatur und Kunst hinterlassen hat, ohne dass dabei dezidiertes theologisches Fachwissen vorausgesetzt würde. Dem entsprechend zäumt Michael Heymel das Pferd gewissermaßen von hinten her auf und skizziert Stationen der Wirkungsgeschichte der Offenbarung des Johannes und macht daran die Bedeutung des Buches für Theologie und Spiritualität fest. Auf dieser Basis stellt er in einem nächsten Schritt unterschiedliche Typen der Auslegung der Offenbarung des Johannes vor, nämlich die überzeitliche, die welt- und kirchengeschichtliche, die eschatologische und die zeitgeschichtliche Auslegung.

Dass die Johannesoffenbarung die Kunst beeinflusst hat und auch selbst als Kunstwerk zu verstehen und in den Kontext apokalyptischer Literatur einzuordnen ist, stellt Heymel in den beiden folgenden Kapiteln dar. Beeindruckend und erhellend ist, dass er sowohl in dem Abschnitt zur Rezeption in Musik und Literatur als auch in dem zum Verständnis der Johannesoffenbarung als christlicher und widerständiger Untergrundliteratur aufzeigt, wie unterschiedlich durch die Jahrhunderte hindurch dieses Buch Wirkung gezeitigt hat. Dabei führt er, abgesehen von Dante Alighieri, Personen an, deren Namen dem Rezensenten bislang völlig unbekannt waren. Liegt das an dessen Unkenntnis oder sind auch noch anderen Heinrich Bullinger (16. Jh.), Kornelis Heiko Miskotte (1944), Pablo Richard (1996) und das Oratorium «In terra pax» von Frank Martin nicht bekannt? Diese nicht ausgetretenen Pfade haben einen ganz besonderen Reiz!

Erst dann folgt ein Abschnitt, in dem der Autor in aller Kürze auf Inhalt und Botschaft der Johannesoffenbarung aus theologischer Sicht eingeht. Das schon erwähnte Kapitel zum Verständnis als Widerstandsliteratur und ein letzter Abschnitt zu ihrer Aktualität beschließen die Hinführung, so dass anteilsmäßig tatsächlich die Wirkungsgeschichte des letzten Buches der Hl. Schrift überwiegt, was den Wert von Heymels Hinführung ausmacht. Ein Glossar einiger religionswissenschaftlicher und theologischer Fachbegriffe sowie ein Literaturverzeichnis bilden eine notwendige und sehr hilfreiche Ergänzung.

Bei aller positiven Grundstimmung begleitete die eigene Lektüre dieses Buches stets eine grundsätzliche und wesentliche Frage: Für wen hat Michael Heymel dieses Buch verfasst? Der Autor selbst gibt in der Einleitung zu verstehen, dass er es als „Orientierungshilfe“ versteht, mit deren Hilfe „die Leserin, der Leser sich selbstständig zurechtfindet“ im letzten Buch der Hl. Schrift. An welche Leserschaft mag Michael Heymel dabei gedacht haben? Theologisches Wissen wird nicht vorausgesetzt – das ist zumindest der Anspruch dieses Buches und der Reihe «bibel heute lesen». Dennoch kann sich der Rezensent des Eindrucks nicht erwehren, dass theologisch unbelastete Leserinnen und Leser, die auf wenig oder kein biblisches Wissen zurückgreifen können, mitunter allein gelassen werden, weil (zu) vieles als selbstverständlich gesehen wird, oder manche Motive, die sich innerbiblisch auflösen ließen (Stichwort: kanonische Lektüre), nicht verknüpft werden.

Zwei Beispiele, was mit dem Allein-gelassen-Werden gemeint ist, seien genannt: Bei der Vision der Frau am Himmel (Offb 12,1-6) verweist Heymel zwar darauf, dass die Frau „bei den Propheten seit je das Gottesvolk“ repräsentiere (71), aber er gibt keine Verweisstelle an, die diese an sich richtige Aussage mit einem prophetischen Text verknüpfen würde. – Bei den Skizzen zu den Sendschreiben der sieben Gemeinden in Offb 2-3 schreibt Heymel davon, dass der „polemische Ausdruck «Synagoge des Satans» (2,9; 3,9)“ aufgrund „seiner bösen Wirkungsgeschichte“ (63) erklärt werden müsse. Er führt zwar an, wie die Theologen Heinrich Kraft und Klaus Wengst diesen Ausdruck deuten, doch worin das böse Moment in der Wirkungsgeschichte lag, verschweigt er.

Gerade mit Blick auf die Zahlensymbolik und deren Wirkungsgeschichte wäre es sinnvoll gewesen, ihr einen eigenen Abschnitt zu widmen, auf den dann jeweils hätte verwiesen werden können; das würde das Verstehen der Zahlensymbolik für Quer-Leser erhöhen.

Kurzum: Der Rezensent sieht in Michael Heymels „Die Johannesoffenbarung heute lesen“ eine reizvolle und ansprechende Hinführung zu diesem biblischen Buch, aber es bleiben Zweifel, ob der Anspruch, ohne theologisches Vorwissen auszukommen, tatsächlich eingelöst wurde.

Zürich: Theologischer Verlag. 2018
138 Seiten m. farb. Abb.
14,90 €
ISBN 978-3-290-18141-3

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