Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Michael Weinrich: Karl Barth

Die evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz haben das Jahr 2019 Karl Barth (1886-1968) gewidmet, dessen epochemachende Römerbriefauslegung in ihrer ersten Auflage Ende 1918 erschien, aber 1919 als Erscheinungsjahr angibt. Vielleicht ist es nicht so günstig, kurz nach dem großen Reformationsgedenken ein weiteres Jubiläum hinterherzuschicken. Läuft es doch Gefahr, ganz im Schatten der großen Reformationsfeierlichkeiten zu bleiben. Das hat Barth nicht verdient. Ist doch mit ihm einer Person zu gedenken, die nicht nur durch ihre Theologie, sondern auch durch ihr konkretes Wirken im Raum von Kirche und Politik zu den herausragenden Gestalten evangelischer Kirchengeschichte zählt. Vermutlich kann man ihm neben den Reformatoren nur noch Schleiermacher an die Seite stellen, aber Barths Haltung und Wegweisung angesichts des NS-Regimes gibt ihm eine seinen Antipoden weit hinter sich lassende Bedeutung für uns heute.

Doch ist Barths Theologie, sein Hauptwerk der „Kirchlichen Dogmatik“ noch aktuell? Arbeitet man sich durch ein paar hundert Seiten der dicken Folianten, wird man mit weit ausschwingenden Sätzen und Gedankengängen konfrontiert, die unserer auf praktische Anwendbarkeit und Aktualität getrimmten Zeit nicht ferner sein könnten. Hier hat einer gleich einem mittelalterlichen Theologen eine Summe der Theologie gewagt, bei welcher der Blick unbeirrt und mit umfassender Bibelkenntnis auf das christliche Offenbarungsereignis in Jesus Christus gerichtet ist. Von dort fällt dann Licht auf Fragen der Zeit, aber es kann kein Zweifel bestehen, dass sich Barth vielmehr um die Korrektur von Jahrhunderte andauernden theologischen Fehlurteilen und so um eine durchgreifende Reformation evangelischer Theologie – und damit auch Kirche! – bemüht hat. Um die Wirkung dieses Unternehmens einigermaßen würdigen zu können, ist es sicher noch zu früh.

In dem hier angezeigten Buch nimmt sich der systematische Theologe Michael Weinrich der Aufgabe an, dem Leser nicht nur das Leben, sondern vor allem wesentliche Inhalte der Kirchlichen Dogmatik Barths nahezubringen. Zudem findet sich zum Schluss ein Kapitel, das Aspekte der Wirkungsgeschichte Barths aufgreift. Das alles geschieht in profunder Kenntnis und guter Lesbarkeit, so dass dieses Buch einem an der Dogmatik und Ethik Barths Interessierten wärmstens empfohlen werden kann.

Doch ist zu fragen, ob der Gewinn des Barth-Studiums nicht größer gewesen wäre, wenn man dessen Theologie mit seinen zeitgenössischen und späteren Kritikern nochmals konfrontiert oder selbst seine Positionen stärker kritisch gewürdigt hätte. Zwar findet der Autor hin und wieder auch zu kritischen Einlassungen, aber Stärke und Herausforderung der Barth‘schen Theologie für uns heute beginnen erst dann an Kontur zu gewinnen, wenn man sich deutlich macht, dass man bei vielen Themen aus guten Gründen zu anderen Antworten und Aussagen kommen kann oder könnte. Gerade in unserer dogmatikfernen und ethikhörigen Zeit hätte man sich mit so unerhörten Aussagen Barths auseinanderzusetzen wie der, dass die ethische Frage schon durch die Gnade Gottes beantwortet sei. Muss eine solche Auskunft für uns heute nicht völlig abstrakt klingen? Oder hat sich die Theologie ein modernes Ethikverständnis – bereitwillig – aufdrängen lassen, das alles Dogmatische nur noch zu realitätsfremden Sprachspielen degradiert?

So wird ein Leser, der Barths Theologie in ihrem differenzierten, luziden Aufbau und in ihrer Gedankenweite kennenlernen will, in Weinrichs Buch eine kundige Hilfe finden. Aber wenn es darum gehen soll, sich von der in Stil und Gedankengang unzeitgemäßen Theologie Barths provozieren zu lassen, wird man mit diesem Buch nicht glücklich werden. Es ist ein Lehrbuch im besten Sinne – aber kein Buch, das den Stachel der Barth‘schen Theologie in unsere Gegenwart treiben will.

Besonders interessant sind die Ausführungen Weinrichs zu Barth und Ökumene. Barth, der 1966 von Papst Paul VI. im Rom empfangen wurde, ist noch heute ein wichtiger geistiger Gesprächspartner, wenn es um Möglichkeit, Gestalt und Sinn von Ökumene geht. Ein Aufsatz von Barth mit dem Titel „Der römische Katholizismus als Frage an die protestantische Kirche“ steht exemplarisch für das von Barth empfohlene Verhältnis, in dem man die „Anderen“ in den rechten ökumenischen Blick bekommt. So wird man sicher den genannten Titel auch umkehren dürfen und damit Barths Werk als eine immer noch gewinnbringende Anfrage an die katholische Theologie empfehlen.

Leben – Werk – Wirkung
UTB-Band 5093
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlage. 2019
492 Seiten
24,99 €
ISBN 978-3-8252-5093-5

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