Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Monica Black: Deutsche Dämonen

Die amerikanische Historikerin Monica Black sucht das Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre nach Dämonen, Hexen und Wunderheilern ab. Ihre These: Es gab in jener Zeit der unmittelbaren Kriegsvergangenheit eine auffallend hohe Zahl an Menschen, die davon überzeugt waren, dass höhere Mächte, böse Geister, wundersame Heiler existierten. Dahinter steckte der Versuch, so ihre Deutung, Schuldgefühle kollektiven moralischen Versagens zu kompensieren. Tatsächlich wurden Menschen der Hexerei bezichtigt, was dazu führte, dass ganze Dorfgemeinschaften sich spalteten. Für die Historikerin zeigen sich darin tiefe soziale Verwerfungen, die sich aus nicht aufgearbeiteten Verstrickungen (oder Nichtverstrickungen) von Menschen während des Dritten Reichs erklärten. Das Misstrauen in die Nachbarin, die vormals einflussreiche NSDAP-Parteigängerin war und jetzt „entmachtet“ im Dorf lebte, bricht sich in der Anschuldigung Bahn, sie sei eigentlich eine Hexe. Oder andersherum: Ehemalige überzeugte Nationalsozialisten bezichtigen ehemalige Nazigegner, mit Dämonen zu paktieren.

In den Mittelpunkt ihres Buches setzt Monica Black den „Wunderheiler“ Bruno Gröning, dessen kometenhafter Aufstieg mit einer „Heilung“ eines gehunfähigen Jungen in Herford begann. Ab 1949 strömten Gröning die Massen zu, auch medial und behördlich befeuert. Gesundheit war für das ehemalige NSDAP-Mitglied davon abhängig, ob das Böse in einem Menschen Platz hatte oder nicht. Schuld und Krankheit, diesen hochproblematischen Zusammenhang stellte Gröning immer wieder her, was es schwer machte, seine Tätigkeiten rein fachmedizinisch zu widerlegen. Interessant ist die Rolle des Lehrers Johann Kruse, der schon in den 1920er Jahren den wachsenden Antisemitismus kritisierte und in den 1950er Jahren zum öffentlichen Kritiker der Hexereivorwürfe wurde. Für Kruse handelte es sich dabei um eine krude Form der kompensatorisch wirkenden Schaffung von Feindbildern, die von eigenen Verantwortlichkeiten ablenken sollte.

Blacks Interesse ist eindeutig sozialhistorisch, weshalb man systematische Erörterungen über Grönings Heilungsverständnis nur sporadisch findet. Spannend sind dennoch einige Ausführungen von Medizinern, die sich Grönings „Wunderheilungen“ zu erklären suchten. Bereits in den 1920er Jahren sah der Mediziner Erwin Liek, dass die Interaktion von Arzt/Heiler und Patient enorm wichtig ist. Letztlich erklärte man sich so auch Grönings Wirkungen, die im Übrigen medizinisch nicht lange anhielten und mitunter tödlich waren. Dass Menschen sich besser fühlten, wenn ihre unermessliche Erwartungshaltung auf Gröning traf, ist placebo-medizinisch nachvollziehbar.

Dass Black als Zeithistorikerin auf die mirakulösen Phänomene der 1950er Jahre blickt, zeigt sich u.a. daran, wie sie sich ihr Abflauen in den 1960er Jahren erklärt: Soziale Verwerfungen nahmen ab, man blickte auf den wachsenden Wohlstand, die blühende Wirtschaft und den neuen Feind im Osten. Die gesellschaftlichen Bedingungen hatten sich geändert und damit die Voraussetzungen für mögliche „dämonische Mächte“. Dass sich die Deutschen zu Beginn der 1960er Jahre in den wachsenden Wohlstand flüchteten, erübrigt für Black die teils bis heute fehlende Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit indes keinesfalls.

Monica Blacks Buch lohnt, obwohl es viel zu detailliert über Zeitungsartikel, Verhöre und Zeugenaussagen berichtet – eine Kürzung wäre angebracht gewesen. Überträgt man die These vom Buch auf die Corona-Pandemie, dann zeigen sich auch heute wieder gesellschaftliche Bedingungen, in denen Misstrauen wächst und man nach Sündenböcken Ausschau hält, die das Ungeheuerliche erklärbar machen. Hexen, so lernt man im Buch, sind die Erklärung für das, was nicht erklärbar ist, die Gründe hinter den Gründen. Treten wir wieder ins Zeitalter der Hexen ein?

Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland
Aus dem Englischen übersetzt von Werner Roller
Stuttgart: Klett-Cotta Verlag. 2021
432 Seiten m. s-w Abb.
26,00 €
ISBN 978-3-608-98415-6

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