Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Monika Fink-Lang: Joseph Görres

Weshalb sollte man Joseph Görres (1776-1848) kennen? Welche Bedeutung hat eine Gestalt, in deren Geburtsjahr die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit proklamierten und der noch den Auftakt zu einer neuen Revolution erlebte? Und wie lässt sich seine Lebensgeschichte heute lesen?

In zehn Kapiteln, angefangen bei Görres‘ „Kindheit in Koblenz“ bis zu den „Späten Münchner Jahren“, erzählt Monika Fink-Lang klug und quellengestützt die Lebensgeschichte ihres Protagonisten, von dem Jean Paul einst meinte, dieser sei „ein Mann aus Männern“. Seiner Biografin gelingt es dabei, den Revolutionär, Abendländer, Mystiker und liberalen Traditionalisten als wahrhaftigen Zeitgenossen im Widerspruch zum Zeitgeist zu porträtieren.

Er gehörte zu den Revolutionsbegeisterten am Rhein: der junge Görres. Enthusiastisch begrüßte er im Jahr 1794 den Einmarsch französischer Truppen in Koblenz. Um eine Rückkehr des Ancien Régime zu verhindern, forderte der 22-Jährige deshalb in seinem Rothen Blatt die Angliederung der linksrheinischen Gebiete an Frankreich. Was ihm dabei als Ideal vorschwebte, so seine Biografin, war die Überwindung eines „Despotismus der Pfaffheit“. „Erstmals“, so die Historikerin, „beschäftigte sich Görres hier auch mit einem Thema, das ihn sein ganzes Leben lang immer wieder beschäftigen wird: mit dem Verhältnis von Kirche und Staat.“

Im November 1799 begab sich der junge Publizist als Abgesandter der „Koblenzer Patrioten“ auf die Reise nach Paris, um dort über eine Union gleichberechtigter Partner zu verhandeln. Während seine Delegation aufbrach, wurde Frankreich noch vom Abbé Siéyès, dem Verfechter des Republikanismus, regiert. Als die Rheinländer die Metropole erreichten, trafen sie aber auf eine Nation, die durch Napoleons Staatsstreich völlig verändert war. Für den Gesandten brach damit der Traum von gleicher Freiheit zusammen: Die Pariser Erfahrung bildete eine Zäsur; sie machte aus dem jakobinischen Revolutionsanhänger einen ernüchterten Napoleon-Gegner. „Eine Sturmflut habe sein Inneres überschwemmt und alle Ideale fortgerissen. Nur eine kleine Insel sei ihm geblieben: ‚In mir ist eine andere unendliche Welt, die schwemmt mir keine Wasserfluth weg, die erschüttert mir kein Sturm, in ihr will ich leben.‘“, zitiert seine Biografin aus einem Brief an Katharina v. Lassaulx, seine spätere Frau.

Nach der missglückten Frankreich-Mission heiratete Görres, unterrichtete Naturwissenschaften an der Secondairschule in Koblenz und übersiedelte als Privatdozent an die Heidelberger Universität, wo er Clemens Brentano und Achim von Arnim kennenlernte und sich als Mitstreiter der romantischen Aufbruchbewegung verstand. Im Jahr 1814, drei Tage nach der Leipziger Völkerschlacht, gab Görres die erste Nummer des Rheinischen Merkur heraus. Das Blatt avancierte innerhalb weniger Monate zur einflussreichsten Zeitung der Zeit und zu einer patriotisch-politischen Bastion, die Napoleon als „Fünfte Großmacht“ bezeichnete. „Wie im Rothen Blatt“, schreibt Monika Fink-Lang, „ist Görres wieder Hauptautor seiner Zeitung. Gelegentlich liefern Freunde Beiträge, dazu kommen Nachrichten durch bezahlte Informanten, Korrespondenten in Brüssel, Rom, Wien, Paris, der Schweiz und den Niederlanden […]. Ein kritischer Umgang mit den Quellen ist für Görres oberstes Gebot. Sein Anspruch ist es dabei, ‚die Wahrheit zu sprechen, unumwunden ohne Vorbehalt und Hindernis‘“.

Dass der kämpferische Rheinländer nach Bonapartes endgültiger Niederlage 1815 schließlich auch in Konflikt mit den Siegermächten geriet, erscheint daher nicht verwunderlich. Folge: Der Rheinische Merkur wurde verboten. Görres antwortete darauf 1819 mit dem Manifest Teutschland und die Revolution – und zeichnete darin die Zukunftsvision einer religiösen Erneuerung Deutschlands.

Der einstige Revolutionär stellt Herders Programm einer sich planetarisch verzweigenden Sprachgeschichte in den Vordergrund und erkennt im gemeinsamen Sprachursprung das Prägende eines Volkes. Zugleich achtet er sehr genau „auf den Umgang des protestantischen Preußen mit den Rechten der katholischen Bevölkerung am Rhein“ und prangert immer wieder deren Diskriminierung an. Als die preußischen Behörden 1827 den Kölner Erzbischof verhaften lassen (Mischehenstreit), ruft Görres mit seiner Kampfschrift Athanasius zur Verteidigung der Kirchenfreiheit auf. Als Geschichtsprofessor an der Münchner Universität (1827-1847) – hier hörten ihn z.B. Adolph Kolping und Wilhelm Emmanuel v. Ketteler – wird er zur prägenden Gestalt für den Aufbruch der katholischen Bewegung. „Sein Beitrag“, urteilt seine wohlinformierte Biografin, habe „entscheidend das Selbstbewusstsein der deutschen Katholiken gestärkt und nicht geringen Anteil am Entstehen eines politischen Katholizismus“.

 

topos taschenbücher

Kevelaer: Verlagsgemeinschaft topos plus. 2015

173 Seiten

9,95 €

ISBN 978-3-8367-1024-4

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