Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Mouez Khalfaoui / Jean Ehret (Hg.): Islamische Theologie in Deutschland

Am 29. Januar 2010 veröffentlichte der Wissenschaftsrat der Bundesrepublik Deutschland die „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“. Darin wird ausdrücklich betont, dass ein großer Bedarf für die Ausbildung von Religionspädagoginnen und -pädagogen für den islamischen Religionsunterricht und von Religionsgelehrten für die Arbeit in den bestehenden Moscheegemeinden existiert. Im Zuge der „Empfehlungen“ des Wissenschaftsrates wurden sukzessive Zentren, Institute und Seminare für islamische Theologie an deutschen Hochschulen eingerichtet.

Nach über 10 Jahren ist es an der Zeit, einen Blick auf die Landschaft der islamischen Theologie in Deutschland zu werfen und Bilanz zu ziehen. Dieses Anliegen haben explizit die beiden Herausgeber des Buches „Islamische Theologie in Deutschland“, Mouez Khalfaoui, Professor für islamische Recht am Zentrum für islamische Theologie der Universität Tübingen, und Jean Ehret, Professor für Theologie und Spiritualität und Gründungsdirektor der Luxembourg School of Religion & Society, übernommen. Dafür formulieren sie im Vorwort folgenden Anspruch: „Dieser Band ist mehr als eine Sammlung von Beiträgen; er hat den Anspruch, eine Einführung in das Wesen einer Islamischen Theologie zu bieten, die sich nicht auf den deutschen und europäischen Raum beschränken will.“ (7)

Die zwölf Beiträge des Buches werfen aus unterschiedlichen Perspektiven einen Blick auf die gestellte Thematik. Die ersten beiden Aufsätze (Stefan Schreiner, Mouez Khalfaoui und Simone Träger) behandeln grundsätzliche Fragen zur islamischen Theologie: zum einen zu ihrer Institutionalisierung im deutschen Wissenschaftssystem, zum anderen hinsichtlich ihrer spezifischen Fragestellungen im europäischen Kontext. Die Autorinnen und Autoren der folgenden neun Beiträge referieren gegenwärtige Forschungsschwerpunkte im bestehenden Fächerkanon der islamischen Theologie: aus der Religionspädagogik, der Hadith- und Koranforschung, der systematischen und historischen Theologie, der Ethik und des Rechts sowie der praktischen Theologie. Der Band endet mit einem Aufsatz von Jean Ehret, der einen grundsätzlichen kritischen Blick auf die christliche Theologie in Europa wirft und für eine Theologie der Beziehungen plädiert, die an die vielfältigen (religiösen, sozialen, wirtschaftlichen etc.) Lebenswirklichkeiten der Menschen andocken und in Dialog treten kann.

Insgesamt sind alle Beiträge des Bandes von hoher Qualität und bieten einen sehr guten Einblick in laufende Forschungsprojekte, die auch den Dialog mit anderen nicht-theologischen Wissenschaften (z.B. Pädagogik, Recht, Philosophie u.a.) sowie den Islam- und Religionswissenschaften und den christlichen und auch jüdischen Theologien suchen. Von daher findet ein interessiertes Fachpublikum in den Aufsätzen viele Anregungen und Anknüpfungspunkte für weiterführende Diskurse. Die beiden Herausgeber betonen im Vorwort, dass das Buch sich auch an ein „fachlich interessiertes breiteres Publikum“ und „an Entscheidungsträger:innen in Politik, Wirtschaft und Finanzwesen“ (7) richtet. Diesen Anspruch können sie aber nicht einlösen, weil die Beiträge letztendlich Forschungsberichte sind und sich mit ihrer elaborierten Sprache und Fachlichkeit eher an Expertinnen und Experten wenden.

Zwei weitere kritische Punkte sollen angemerkt werden. Der erste bezieht sich auf den Titel „Islamische Theologie in Deutschland – Ein Modell für Europa und die Welt“. Wenn man den Titel liest, könnte man auf den Gedanken kommen, dass in diesem Buch sich die einzelnen Zentren und Institute für islamische Theologie in Deutschland mit ihren Schwerpunkten vorstellen. Dies ist aber nicht der Fall. Von den dreizehn Autorinnen und Autoren stammen sieben vom Zentrum für islamische Theologie der Universität Tübingen; aus den übrigen Fakultäten sind noch Berlin, Erlangen-Nürnberg und Paderborn vertreten, Jean Ehret ist in Luxemburg beheimatet. Wie und warum diese Auswahl zusammengekommen ist, wird leider im Vorwort nicht begründet. Hier hätte man sich mehr Transparenz gewünscht, zumal an anderen Fakultäten für islamische Theologie, wie z.B. in Münster, weitere Schwerpunkte zu finden sind, die durchaus für den Band interessant gewesen wären.

Der zweite kritische Punkt hat ebenfalls mit dem Titel zu tun, und zwar hinsichtlich des Modellcharakters für Europa und die Welt. Es werden zwar in den Beiträgen Anknüpfungspunkte zu anderen Wissenschaften aufgezeigt, aber bis auf den Aufsatz von Erdal Toprakayan wird der avisierte Modellcharakter entweder gar nicht oder sehr marginal reflektiert, obwohl z.B. Mouez Khalfaoui und Simone Trägner-Uygun dies in dem Titel ihres Beitrags anzeigen („Die islamische Theologie im europäischen Kontext im 21. Jahrhundert“). Hier wurde leider eine Chance vertan, denn es wäre z.B. sehr spannend gewesen zu erfahren, ob und inwieweit die Forschungsergebnisse der islamischen Theologie in Deutschland an den Universitäten in Europa, Nordafrika, im Nahen Osten oder auch in Indonesien und Malaysia rezipiert werden und tatsächlich Modellcharakter haben.

Positiv zu vermerken ist der Anmerkungsapparat und die Bibliographien in den Aufsätzen. Manche Beiträge, wie z.B. zu den Hadithstudien, hätten durchaus vom Lektorat auf Grund einiger Wiederholungen gekürzt werden können. Als Fazit kann festgehalten werden: Das Buch bietet in hoher Qualität Forschungsberichte zu dem bestehenden Fächerkanon der islamischen Theologie in Deutschland. Inwieweit sie die gesamte islamische Theologie in Deutschland mit ihren jeweiligen Schwerpunkten abbilden, ist aber fraglich. Von daher wäre ein Titel wie „Schlaglichter der islamischen Theologie in Deutschland“ hilfreicher gewesen. Ebenfalls wird der im Titel formulierte Anspruch eines Modellcharakters reflexiv nur sehr marginal eingeholt.

Ein Modell für Europa und die Welt
Freiburg: Herder Verlag. 2021
336 Seiten
30,00 €
ISBN 978-3-451-39143-9

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