Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Mouhanad Khorchide / Klaus von Stosch: Der andere Prophet

In den letzten 15 Jahren sind einige Bücher und Beiträge erschienen, welche mithilfe einer Zusammenschau koranischer Texte und unter Berücksichtigung ihrer klassischen islamischen Auslegung die besondere Bedeutung Jesu im Koran betonen. Das vorliegende Buch ist allerdings der erste Text, der gemeinsam von einem muslimischen und einem katholischen Theologen verantwortetet wird. Er ist Ergebnis eines jahrelangen gemeinsamen Denk- und Suchprozesses zweier Systematiker. Während Klaus von Stosch sich mithilfe der komparativen Theologie dem Wahrheitsanspruch der Religion des anderen zu öffnen versucht, ist für Mouhanad Kkorchide die Barmherzigkeit Gottes im Koran der Garant für die Freiheit seiner Geschöpfe, denen er eine dialogische empathische Beziehung anbietet, so wie sie diese auch untereinander führen sollen (241-254). „Daraus folgt aber lediglich eine produktive Verschiedenheit beider Religionen, nicht aber ein unversöhnlicher Gegensatz“ (301).

Das Buch unternimmt eine relecture der bekannten Texte aus den Suren 19, 3 und 5 (95-174) und eine Einordnung der Befunde in die koranische Prophetenlehre (176-225). Andere Gesandte des Islam – wie Ibrāhīm (Abraham) und Mūsā (Moses) – werden im Koran stärker als Präfiguration und role-model für Muḥammad gestaltet, auch wenn sich ihre Bedeutung nicht darin erschöpft. Isā Ibn Maryam (der koranische Jesus) erhält dagegen ein eigenständiges Profil, in seiner Anwesenheit sind der Geist und die Schöpfermacht Gottes wahrnehmbar bis hinein in seine wunderbare Geburt durch Maryam, die Jungfrau. Er gilt als gelebtes Gotteswort, als ein permanent „Nahestehender Gottes“ – wie Muḥammad – und er ist sich dieser Qualität auch selber bewusst (Koran 19:30). Diese Besonderheit Isā Ibn Maryams, im Koran durch den Titel masīḥ (Messias) ausgedrückt, kann „zugleich aber keinen Zweifel daran lassen, dass [die Propheten] alle in grundsätzlich gleichwertiger Weise in Gottes Heilsplan integriert sind“ (217). Die islamische Prophetologie verfolgt „im Blick auf das … Thema der Christologie vorwiegend kritische Absichten“ (222). Korchide unternimmt in dieser Weise eine sachgemäße Einordnung und durchweg positive Würdigung vieler christologischer Titel, die im Koran aufgenommen, aber anders kontextualisiert werden.

Der koranische Isā Ibn Maryam steht in dieser Sicht dem kirchlich verkündeten Christus als kritischer Bruder zur Seite. Wichtig ist, dass Korchide den häufig vorgebrachten Vorwurf der christlichen „Schriftverfälschung“ (taḥrīf) für unsachgemäß erklärt. Die Kritik des Korans richte sich historisch lediglich gegen Fehlentwicklungen im Kontext christologischer Streitigkeiten der spätantiken orientalischen Kirchen, welche im Buch ausführlich behandelt werden (19-65). Kann von Stosch als christlicher Theologe in Isā Ibn Maryam mehr als einen Mahner im Kontext des Monotheletenstreits des 6./7. Jahrhunderts und damit gegen die großen „Gefahren einer Vergöttlichung Jesu auf Kosten seiner Menschlichkeit“ (289) sehen? Dahinter steht als eigentliche Herausforderung die Frage, ob im Koran ein Sich-Aussagen Gottes zu sehen sei. Eben diesen Schritt einer formalen und materialen „Pluralität des Sich-Sagens Gottes … in das hinein die Christologie rücken soll“ (293) kann von Stosch letztlich nicht vollziehen und sieht zu Recht eine Grenze zwischen den Religionen gezogen.

Andererseits beschreiben beide Theologen das Gott-Mensch-Verhältnis im Koran als ein dialogisches Freiheitsverhältnis, das einen mitfühlenden Gott zeige, der den Menschen nahe ist (229-287). Von Stosch will die koranische Sicht auf Isā Ibn Maryam daher nicht als christologisches Defizit, sondern als Potential und in ihrem Wert für die eigene theologische Reflexion beschreiben. Dieses Potential bestimmt er in den koranischen Jesus-Titeln „Sohn der Maria“, „Geist Gottes“ und des „Gott Nahestehenden“ als Korrektiv „gegen eine Isolierung der Pneumatologie von der Christologie … [und um die] … pneumatische Intensität, die von der Begegnung mit ihm ausgeht, in Worte zu fassen“ (292). Ebenso die koranische Skepsis gegenüber einer theologia crucis, weil diese die Gefahr birgt, den Blick darauf zu verstellen, dass Gott bereits „in seinem Sich-Aussagen verwundbar und verletzlich ist und als solcher in den Dialog mit den Menschen tritt“ (292). „Allerdings kann aus christlicher Sicht diese Inklusion nur gelingen, wenn sie aus der Bestimmtheit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus gewonnen wird“ (293). Wie das gegenüber dem Islam geschehen kann, bleibt letztlich offen, doch beschreibt von Stosch dafür eine bis dato unerschlossene Ressource, indem der Koran in Sure 5:112-115 „die Bedeutung der Eucharistie zur christlichen Selbstvergewisserung über diesen alles entscheidenden Angelpunkt des christlichen Glaubens anerkennt“ (293).

Damit kommen wir zu den Punkten, die ich eher kritisch sehe. In der „Himmelstischepisode“ (Koran 5:112-115) handelt es sich um einen ganzen Motivkomplex. Die eucharistische Ausdeutung dieser einzigen Stelle ihrer Art im Koran ist nur ein Teil davon und daher umstritten. Wie weit trägt diese Argumentation? Ähnlich steht es um die Anwesenheit des Julianismus auf der arabischen Halbinsel des 6./7. Jahrhundrts, den von Stosch in Folge von Christian Robin als Gegenbild der koranischen Jesulogie beschreibt (37-45). Ist es wirklich ein Nachweis, wenn die auch sonst nicht unpolemische ostsyrische „Chronik des Seert“ im 7. Jahrhundert ihren christlichen Gegnern in der Oase Nağrān „Julianismus“ vorwirft und wenn zwei ostsyrische Kirchenväter des 10. und 12. Jahrhunderts dies echoen?

Die archäologischen Entdeckungen von Christian Robin (54-61) sind hingegen faszinierend, da sie südwestarabische christliche Textfragmente des 6. Jahrhunderts zutage gefördert haben, welche an koranische Formulierungen über Jesus anklingen: „With the power … of Raḥmānān, his Messiah (and the Spirit of Holiness)“. Man muss aber auch beachten, dass Robin hier aus lediglich 3 Bauinschriften des jemenitischen Herrschers Abraha dessen Christologie und Religionspolitik rekonstruiert. Ob ihm die Forschung darin folgt und inwieweit sich dadurch ein missing link zum Koran bestimmen lässt, wird sich erst noch zeigen müssen.

Textgrundlage der Koranauslegungen des Buches ist eine surenholistische Lektüre, die in der Folge von Angelika Neuwirth den überwiegend synchron ausgelegten Korantext im Kontext der zeitgleichen spätantiken Literatur versteht. Die diachrone Anordnung der Suren geht dabei mit der klassischen islamischen Offenbarungsfolge weitgehend konform. Die koranische Argumentation wirkt somit organisch, harmonisch und widerspruchsfrei. Als Vorteil ergibt sich dadurch eine konfliktfreie Textbasis für die systematische Spekulation beider Autoren. Der Nachteil: Brüche und Inkongruenzen, die durch eine Literar- und Redaktionskritik zutage treten könnten, bleiben unbemerkt. So zeigen z.B. die zahlreichen Lesarten und die nicht-kanonischen Versionen von Sure 61 m.E. einen innerislamischen „Streit um Jesus“, wobei sich erst in der kanonischen Lesart von Sure 61:6 und durch die Auslegung der frühen Sunna klärt, dass er hier auf Muḥammad als seinen überbietenden Nachfolger hinweist.

Weiterhin werden die Stereotypen, Feindbilder, politischen Interessen und der überwiegend polemische Charakter der innerchristlichen Streitigkeiten des 5.-7. Jahrhunderts zwar getreu wiedergegeben, allein die koranischen Texte scheinen davon unbetroffen zu sein. Wenn der Koran aber Teil der spätantiken Literaturgeschichte ist, dann wird sein Christentumsbild wohl nicht nur Informationen spiegeln, sondern auch die polemische Rede der einen über die anderen. So entspricht der koranische Vermerk einer Vergottung Mariens (Koran 5:116f) zwar keiner gängigen christlichen Praxis, sehr wohl aber der damals üblichen Polemik ostsyrischer Christen gegen ihre westsyrischen und byzantinischen Gegner. Eine Eigenheit des Buches ist es, dass es diesen Sachverhalt nicht wahrnimmt.

Unbeschadet dieser Anfragen ist es ein sehr mutiges und notwendiges Buch. Die in seiner Folge zu erwartenden kritischen Kommentare werden weniger um die hier genannten historischen und exegetischen Grundlagen kreisen als vielmehr um die systematisch-theologische Frage, ob es möglich und nützlich ist, sich in der kirchlichen Christologie und in der islamischen Prophetologie soweit aus dem Fenster zu lehnen, dass man sich fast umarmen kann – ohne dabei aus dem Rahmen zu fallen. Hierzu bieten die oben beschriebenen Positionen des Buches reichlich Angriffspunkte – aber eben auch viele perspektivische Wegmarken für ein tiefgehendes, ressourcenorientiertes theologisches Gespräch miteinander. Und das tut in unserer Zeit nun wirklich Not.

Jesus im Koran
Freiburg: Herder Verlag. 2018
318 Seiten
28,00 €
ISBN 978-3-451-38154-6

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