Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Neil MacGregor: Leben mit den Göttern

Neil MacGregor war von 2003 bis 2015 Direktor des britischen Museums und ist seit 2015 Gründungsintendant des Humboldt-Forums in Berlin. Im vorliegenden Buch erzählt er die Religions- und Kulturgeschichte der Menschheit, indem er ausgewählte Exponate „seines“ Museums beschreibt und einordnet. Die Gliederung legt drei Spuren in einem Durchgang: Von den Anfängen Richtung heute, vom Einvernehmlichen zum Strittigen, von der Registrierung der Vielfältigkeit hin zu einer klaren Pointe. Als Hintergrundthema bleibt im ganzen Buch die Frage virulent, wie sich Kultur und Religion zur Macht verhalten.

Das Buch dokumentiert im ersten Teil Objekte, durch die der Mensch seinen Platz unter den Geschöpfen reflektiert, den Löwenmann aus dem Lonetal (den das britische Museum nicht besitzt), den Vestakult in Rom. Im zweiten Teil geht es um die Auseinandersetzung mit Grunderfahrungen: Tod, Geburt, Gemeinschaft. Im nächsten Teil sind das Monumentale und Theatralische Thema, das die Religion ausstrahlt, der vierte Teil befasst sich mit der Rolle der Bilder. Bis dahin verhandelt der Verfasser also menschliche Bedürfnisse, für die jede Kultur eine Art von Lösung finden muss. Die beiden letzten Teile über Poly- und Monotheismus und über den gezielten Umgang der Macht mit Religion gehen auf die Differenzen in der Religion ein und die Feindseligkeit, die in verschiedenen Kontexten mit religiösen Motiven begründet wurden. Das letzte Bild und so etwas wie die Pointe des Buches ist eine Schutzmantelmadonna aus Süddeutschland, die im ausgehenden 15. Jahrhundert geschaffen wurde. Sie symbolisiert für MacGregor den Wert aller Religion, Geborgenheit und Gemeinschaft zu stiften.

Dem Autor ist es gelungen, ein Nachschlagewerk zu erschaffen, das man immer wieder zur Hand nehmen wird, zugleich aber eine Geschichte zu erzählen, die von Anfang bis Ende spannend ist. Besonderen Reiz hat das Stilmittel des Museumschefs, seine Fachleute aus den verschiedenen Abteilungen zu Wort kommen zu lassen, so dass der Leser aus erster Hand Informationen und Einordnungen bekommt.

Für den Religionsunterricht ist das Buch eine Fundgrube, weil zu vielen Themen der katholischen Kirche die religionsgeschichtlichen Parallelen in Bild und Deutung präsentiert werden können. Zum Beispiel könnte man den religiösen Umgang mit Nahrung als Hintergrund der Eucharistie verdeutlichen, den kulturellen Umgang mit der Geburt als Umfeld der christlichen Marienverehrung, die religionsgeschichtliche Bedeutung der Wintersonnenwende als Vorbild des Weihnachtsfestes. Historische Beispiele für Toleranz und Intoleranz zwischen den Religionen und die Nutzung der Religion zur Machtgewinnung tragen unmittelbar zum Verständnis aktueller Konflikte bei. Wie zum Beispiel das katholische Frankreich im 17. Jahrhundert die Hugenotten als unfranzösisch bekämpft, mit denselben Argumenten kämpfen nationale Kräfte heute für eine säkulares Frankreich gegen den Islam; radikale Hindus tun in Indien Vergleichbares.

Das konnten nur einige Schlaglichter sein auf ein Buch, das auch denjenigen, der sich schon mit Religionsgeschichte befasst hat, mit vielen Bildern, Deutungen und Einsichten überraschen kann. Das Buch wird auch als Hörbuch angeboten, was mir in diesem Fall nicht sehr sinnvoll erscheint, weil man die Bilder sehen muss, um den Text würdigen zu können.

Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Wirthensohn und Annabel Zettel
München: C.H. Beck. 2018
542 Seiten m. farb. Abb.
39,95 €
ISBN 978-3-406-72541-8

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