Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Norbert Hoerster: Der gütige Gott und das Übel

Ein philosophisches Problem

Norbert Hoerster, der als Professor Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität Mainz unterrichtete, ist ein scharfsinniger Religionskritiker, genauer noch Kritiker des christlichen Verständnisses von Gott. Mit der Problematik der Theodizee befasst er sich seit Langem: Ihm widmete er in seinem 2005 erschienenen Werk „Die Frage nach Gott“ ein Kapitel, in seinem 2017 erschienenen Werk „Der gütige Gott und die Übel“ ein ganzes Buch.

Seine Problemstellung ist folgende: Nehmen wir einmal hypothetisch an, dass erstens ein Schöpfergott existiert und ihm zweitens die Prädikate „Allmacht“ und „Allwissenheit“ zukommen; wie ist dann seine „Allgüte“ mit Blick auf die vielen natürlichen und moralischen Übel in der Welt zu beurteilen? Anknüpfungspunkte seiner Argumentation bilden in erster Linie die Theodizee-Versuche der beiden katholischen Theologen Armin Kreiner und Klaus von Stosch. Elementarisiert lautet deren Argument so: Aus der von Gott initiierten Evolution (und deren Eigengesetzlichkeit) ist der Mensch mit der ihn auszeichnenden Willensfreiheit hervorgegangen; die menschliche Willensfreiheit stellt einen derart hohen Wert dar, dass sie alle in der Schöpfung zu beklagenden natürlichen und moralischen Übel überwiegt. Im Weiteren soll es nicht darum gehen, ob Hoerster den beiden Theologen gerecht wird, sondern vielmehr um die Überzeugungskraft seiner – „auf der Basis einer realistischen empirischen Weltsicht“ (34) und „nach unseren menschlichen Maßstäben“ (35) entwickelten – Schlussfolgerungen zu Gott und dessen Güte.

Mit Blick auf die natürlichen Übel (und ihre angebliche Notwendigkeit zur Entstehung des Menschen) stellt der Verfasser die Frage, ob Gott in seiner Allmacht nicht alternative Naturgesetze hätte schaffen können, so dass Übel wie Naturkatastrophen erst gar nicht aufgetreten wären. Weiter: Menschen werden in ganz unterschiedlicher Weise von natürlichen Übeln heimgesucht: Wiegt das Glück der Verschonten das Leid der – etwa von einem Erdbeben – Betroffenen auf? Außerdem: So unbestritten die Verlässlichkeit von Naturgesetzen für unser Leben ist: Hätte Gott durch ein von uns unbemerktes Wunder nicht naturbedingte Katastrophen – wie beispielsweise einen verheerenden Tsunami – verhindern können? Schließlich ist Gott nicht an die Naturgesetze gebunden.

Hinsichtlich der moralischen Übel fragt Hoerster, ob Gott mit seiner Allwissenheit – zwar nicht die künftigen Entscheidungen von Menschen, wohl aber – das Risiko menschlicher Willensfreiheit, Übeltaten zu begehen, hätte absehen können. Hätte Gott nicht die Willensfreiheit begrenzen können – ohne Versuchung zum Bösen wie Kindesmissbrauch oder ohne moralische Exzesse wie die Shoa? Solchermaßen determinierten, „alternativen“ Menschen würde ja kein Zwang angetan und bliebe doch genügend Spielraum, ihr Leben moralisch zu gestalten oder kirchliche Gebote wie etwa die eheliche Treue zu befolgen oder zu missachten. Außerdem: Hätte Gott – als sich durch entsprechende Vorbereitungen die Shoa abzeichnete – nicht durch ein Wunder eingreifen und Hitler durch einen tödlichen Unfall stoppen können? (101)

Aufgrund dieser Gedankengänge kommt Hoerster zu dem Schluss, dass dem hypothetisch angenommenen Gott zwar Allmacht und Allwissenheit, keineswegs aber Allgüte zugesprochen werden kann – verhält er sich doch „moralisch indifferent“ (80 u.ö.) zu seinen empfindungsfähigen Geschöpfen. In seinem „Schlusswort“ verweist der Philosoph im Anschluss an David Hume und Albert Einstein auf einen Theismus, dessen Gott sich nicht für das Schicksal der Menschen interessiert (124).

Was lässt sich aus diesen überaus spitzfindigen Überlegungen lernen? Zunächst wird bestätigt, was schon Immanuel Kant konstatierte, nämlich das Scheitern einer philosophischen Theodizee. Wer will ohne Zynismus nach dem Erdbeben von Lissabon 1755 und den mit „Auschwitz“ bezeichneten Ereignissen überlebenden Opfern erklären, dass die entstandenen natürlichen und moralischen Übel vom Wert menschlicher Willensfreiheit überwogen werden? Bereits im Buch Ijob versuchen sich seine Freunde mit durchaus unterschiedlichen Argumenten an einer Verteidigung Gottes – und machen sich nicht nur Ijob zum Feind, sondern erzürnen sogar Gott (vgl. Ijob 42,7).

Muss ein selbstkritischer Christ darüber hinaus Hoersters Schlussfolgerung teilen – also Gott für moralisch gleichgültig halten und sich zu einem faden Theismus oder zum Atheismus bekennen? Aus der Innenperspektive christlichen Glaubens lässt sich entgegnen: Zunächst – und das scheint mir der wichtigste Grund – lässt sich das spezifisch christliche Gottesverständnis ins Feld führen: Ein Gott, der das Schicksal seiner Geschöpfe auf sich nimmt und in Jesus von Nazaret Mensch geworden ist (Inkarnation), ein solcher Gott kann kein gleichgültiger Gott sein. – Zum Zweiten: Theologische Überlegungen, die sich auf die Unbegreiflichkeit Gottes beziehen, weist der Verfasser als misslungene Theodizee-Versuche zurück (30). Die Bibel erzählt, dass Gott sich offenbart und zugleich entzieht (z.B. Ex 3); die Theologie hält fest, dass jede behauptete Ähnlichkeit mit Gott eine noch größere Unähnlichkeit impliziert (DH 806). Auf dieser gedanklichen Linie bezeichnet das den Begriffen Macht, Wissen und Güte vorangestellte „All“ kein im Vergleich zu menschlichen Verhältnissen gesteigertes „Mehr“, sondern ein „Anders“: Die All-Güte Gottes ist – von uns nicht durchschaubar – anders als die noch so große Güte von Menschen. – Hinzu kommt als Drittes: Im Unterschied zu einem theistischen Gott oder zum Atheismus haben Christen die Hoffnung, dass Gott sich als der Allgütige erweisen wird und die Tränen aller Opfer nicht umsonst waren, sondern getrocknet werden (Offb 21,3). Eine solche Hoffnung aber kann kein hypothetischer Gott wecken.

München: C.H. Beck Verlag. 2017
127 Seiten
12,95 €
ISBN 978-3-406-70567-0

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