Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Norbert Wolf: Buchmalerei verstehen

Im Schatten der großen Namen der Kunstgeschichte und der Blockbuster-Ausstellungen des Museumsbetriebs fristet die Buchmalerei ein eher bescheidenes Dasein als eine Kunstgattung für Spezialisten und Liebhaber. Zu Unrecht, wie man nach der Lektüre des vorliegenden Buches sagen muss. Denn auch die Buchmalerei (und in ihrer Nachfolge die Künstlerbücher der Moderne) bietet Kunstwerke ersten Ranges, mit denen sich zu beschäftigen intellektuellen Genuss und ästhetisches Vergnügen bereitet.

Obwohl die Buchmalerei auf eine lange Tradition bei den Ägyptern, Römern, Byzantinern wie auch in der islamischen Kultur zurückblicken kann, beschränkt sich Norbert Wolf in seiner Darstellung auf die Entwicklung der abendländischen Buchmalerei von ihren Anfängen zur Zeit der Völkerwanderung bis zum Beginn der Neuzeit, als der Druck mit beweglichen Lettern die handschriftliche Buchproduktion ablöste. Vornehmster Gegenstand illuminierter Handschriften und aufwendig gestalteter Codizes waren die Bibel und die für den Gebrauch im Gottesdienst bestimmten Bücher, wie Antiphonare, Perikopenbücher und Messbücher (Missale). Später kamen Gebet- und Stundenbücher hinzu, wobei die von den Brüdern Limburg für den Herzog von Berry geschaffenen Stundenbücher einen Höhepunkt der späten von der Renaissance beeinflussten Buchkunst bilden. Neben religiösen Inhalten fanden auch klassische Texte, die volkssprachliche Literatur des Mittelalters sowie naturkundliche Traktate Eingang in den Schatz kostbarer illuminierter Handschriften. Denn um einen Schatz handelt es sich in der Tat. Waren die religiösen Buchmalereien und ihre weithin anonymen Künstler noch von der Idee beseelt, das Wort Gottes über die Schrift hinaus im wörtlichen Sinne zur Anschauung zu bringen, traten im 14. und 15.Jahrhundert andere Motivationen hinzu. Da das Material der illuminierten Handschriften (Pergament) teuer und die künstlerische Gestaltung aufwendig waren, wurde der Besitz solcher Kunstwerke zu einem Ausweis von Kunstgeschmack und Wohlstand, der den sozialen Rang von Herrscherhäusern und wohlhabender Familien spiegelte und deren Selbstdarstellung diente.

Norbert Wolf gelingt mit seinem Buch eine profunde Einführung nicht nur in die Buchmalerei, sondern darüber hinaus in die Produktion und Verbreitung von Büchern vor der Erfindung des Buchdrucks. In neun Kapiteln macht er den Leser vertraut u. a. mit der Geschichte der Buchmalerei, den verschiedenen Buchtypen, den verwendeten Materialien und den Gestaltungselementen. Neuere kunstsoziologische Fragestellungen nach der sozialen Position der Künstler, ihrer Auftraggeber und dem „Vertrieb“ bzw. dem Verbleib dieser kostbaren Bücher bleiben nicht ausgespart. Dem ästhetisch anspruchsvollen Thema entspricht die sorgfältige grafische Gestaltung dieses Handbuchs. Die Einleitungsseiten zu den einzelnen Kapiteln sind farblich abgesetzt; dreißig ganz- oder halbseitige Farbabbildungen liefern die notwendige Anschauung; kleine Ausschnitte daraus in Form eines aufgeschlagenen Buches schaffen als Schmuckelemente zusätzliche Abwechslung fürs Auge. Wichtige Schlüsselbegriffe und Namen finden sich wie in alten Texten als Marginalien in roter Schrift am Seitenrand.

Wohltuend im Vergleich zu vielen Texten aus dem heutigen Kunstbetrieb ist die sachliche, an wissenschaftlicher Diktion angelehnte Sprache, die dennoch den Enthusiasmus des Verfassers für sein Thema nicht verleugnet und für den gebildeten Laien verständlich bleibt.

Allerdings stört den Lesefluss, dass der Leser häufig blättern muss, um das Bild zu finden, auf das sich der laufende Text bezieht oder dass dies gelegentlich ganz der Produktionsökonomie geopfert wurde. Dieser ist offensichtlich auch das auf dem Umschlag angekündigte „Glossar der wichtigen Fachbegriffe“ zum Opfer gefallen.

Schade, bei einem sonst rundum empfehlenswerten Buch.

 

Darmstadt: Primus Verlag. 2014

208 Seiten m. farb. Abb.

24,95 €

ISBN 978-3-86312-375-8

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