Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Peter Brown: Der Schatz im Himmel

 

Der Untertitel dieses Buches verspricht nichts weniger als einen tiefen und detaillierten Einblick in jene entscheidende Epoche der Spätantike, in der das pagane römische Reich von dem abgelöst wurde, was wir wahlweise Christentum, Kirche oder Abendland nennen – eine bis heute prägende, aber vielleicht gerade untergehende, mindestens 1500-jährige Epoche europäischer Geschichte.

Die zu beschreibenden Abläufe würden den Einsatz komplexer soziologischer, theologischer, ökonomischer und historiographischer Instrumente verlangen. Doch Peter Brown, der renommierteste (Kirchen-)Historiker für die Antike weltweit, dämpft solche allein schon durch den stattlichen Umfang des Bandes genährte Erwartungen mit seinem Haupttitel „Der Schatz im Himmel“ und dem einleitenden Zitat aus Mt 19,21-26: Es geht vor allem um den Umgang mit Geld als zentraler Kategorie der Kirchenentwicklung. Kapitelüberschriften wie „Paulinus von Nola und die Poesie des Geldes“ oder „Die pelagianische Kritik am Reichtum“ machen endgültig klar: Es geht dem Autor um nichts Geringeres (aber auch nicht um mehr) als eine im Kern an Karl Marx‘ Dictum „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ erinnernde Analyse der „Auswirkungen und Einfluss des Reichtums auf die christlichen Kirchen des lateinischen Westens“ in der Spätantike (13). Dabei schreitet er verschiedene Regionen und einige der 2500 Städte (!) ab, denen im römischen Reich entscheidende Funktionen in Verwaltung, Steuer und Finanzmaßnahmen zukamen.

Brown fokussiert dabei zunächst die römische Gesellschaft im vierten Jahrhundert, richtet seinen Blick dann auf die sich wandelnde gesellschaftliche Stellung der Christen nach der „Bekehrung“ Konstantins 312 und verweist auf die allmählich wahrnehmbare Einwanderung reicher Bürger. So transformiert sich nach und nach das Verhältnis der Reichen zum Geld von der „traditionellen Idee der Gabe an die Heimatstadt“ zum Bestreben, sich einen „Schatz im Himmel“ zu erwerben durch „Geschenke an die Kirche und die Armen“.

Browns Arbeitsweise ist immer konkret. Er beschreibt die Entwicklung „typischer“ Haltungen bei namhaften Persönlichkeiten aus verschiedenen Regionen des römischen Reiches und fesselt den Leser nachhaltig. Die so entstehenden Möglichkeiten, aber auch die Probleme und internen Auseinandersetzungen werden lebendig geschildert, welche die Entwicklung zu einer „reichen Kirche“, die plötzlich einen regelrechten Hofstaat organisieren muss, mit sich bringen.

Der Autor meistert gleichzeitig zwei scheinbar unmögliche Herausforderungen: Er bietet einerseits einen Überblick über den in Jahrzehnten von unzähligen Autoren erarbeiteten Forschungsstand und stellt zugleich neue, interessante Aspekte in den Vordergrund. Dass Brown sich dabei nicht auf Religion oder Theologie konzentriert, sondern die spätantike Gesellschaft, ihre soziale Schichtung und insbesondere das Selbstverständnis der noch im späten 4. Jahrhundert prosperierenden Gruppe römischer „Superreicher“ analysiert, stellt den eigentlichen Clou des Bandes dar. Deren Selbstverständnis spürt der Autor nach, hat dabei aber auch die für den Aufstieg des Christentums im 4. Jahrhundert weit wichtigere Schicht der lokalen Notablen (Stadträte, Zensoren, etc.) im Blick. Die Frage, wie biblische Gebote der Armut („Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr“) mit dem Wohlstand dieser einflussreichen Klassen in Übereinstimmung zu bringen sei, ob wohltätige Stiftungen, Spenden und Unterhalt ausreichend seien, um den sprichwörtlichen Schatz ohne allzu große irdische Armut zu erwerben, wird von verschiedenen kirchlichen Autoritäten wie Ambrosius, Pelagius, Augustinus oder Paulinus durchaus unterschiedlich beantwortet. So erscheint das aus dem Geist des Christentums und des Neuplatonismus neu entwickelte Modell eines kontemplativ-monastischen Rückzuges eben auch als Ausstieg aus einem zunehmend als gnadenlos empfundenen Konkurrenzkampf innerhalb der Oberschicht.

Trotzdem gerät absolute Armut, wie sie in Klöstern praktiziert wurde, erst in den Krisen des 5. Jahrhunderts zur verbindlichen Norm – nicht zuletzt, weil Plünderungen, politische Umstürze und Zerstörungen dauernd drohten, die zu unfreiwilliger Verarmung führten und ein ausdrückliches Sicherheitsbedürfnis befeuerten. Im frühen 5. Jahrhundert sahen die nur wenige Jahrzehnte zurückliegenden letzten goldenen Jahre des Imperiums schon wie eine vom Abendlicht verklärte Idylle aus. Eucherius von Lyon etwa klagt: „Männer, die durch offizielle Ehren ausgezeichnet wurden, die an der Spitze des Reiches standen, indem sie hohe Posten besetzten, mit Einkommen von überall her und Besitzungen, die sich überall in der römischen Welt befanden, […] erscheinen uns heute wie Märchengestalten.“ (581)

Gerade weil Brown die oft dramatischen Ereignisse meist sachlich schildert, wirken bildhafte Vergleiche umso erfrischender: „Religiöses Geben war Teil des Alltags, weil der Alltag selbst durch Sünde geprägt war, während man im Hintergrund das ständige Quietschen der Lenzpumpe aus Gebet, Fasten und Almosengeben hören konnte.“ (535) Ähnlich pointiert wirkt seine Analyse der letzten Jahrzehnte des sich auflösenden weströmischen Reiches: „Insgesamt in die Defensive gedrängt von so vielen unwillkommenen und alternativen Möglichkeiten, römisch zu sein, die jetzt von einem aufgegebenen Britannien über nicht klar umrissene Unruhezonen in Gallien und Spanien bis hin zur Piratenhauptstadt Karthago reichten, war die Res Publica in ihren letzten Jahrzehnten keineswegs tot. Aber hübsch anzusehen war sie auch nicht.“ (589)

Also: Peter Browns Werk ist eine sehr empfehlenswerte, lebendige und fundierte Lektüre über die Grundlagen und verschiedenen, teils unvereinbaren Haltungen zu einem „Schatz im Himmel“ und ihre Entwicklung zum prägenden Movens eines neuen, nun christlichen Weltreiches, dessen Grundlagen im 5. Jahrhundert gelegt wurden.

Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des Römischen Reichs
Aus dem Amerikanischen von Michael Bayer und Karin Schuler
Stuttgart: Klett-Cotta Verlag. 2017
957 Seiten m. farb. Abb.
42,00 €
ISBN 978-3-608-94849-3

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