Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Peter Cornelius Mayer-Tasch / Bernd Mayerhofer: Die Himmelsleiter

Seit 1912 gibt es die Insel-Bücherei. Die Reihe zeichnet sich aus durch die sorgfältige Auswahl qualitätsvoller Texte und die liebevolle bibliophile Ausstattung der einzelnen Bändchen. Dem hohen literarischen und ästhetischen Anspruch wird auch der vorliegende Band gerecht, der von den beiden Politikwissenschaftlern Peter Cornelius Mayer-Tasch und Bernd Mayerhofer verantwortet wird. In ihrem Essay untersuchen sie das biblische Motiv der Himmelsleiter und verfolgen dessen Rezeption in der Kultur- und Geistesgeschichte.

Die aus der Jakobserzählung (1 Mose 27, 10-22) bekannte Himmelsleiter hat sich zu einem komplexen Symbolgefüge entwickelt, in dem sich religiöse, kulturelle und politische Erfahrungen verdichten und grundlegende Dimensionen menschlicher Existenz berührt werden. Von den Himmlischen zur Erde herabgelassen, wird die Leiter zum Symbol erlebten Glücks und erfahrener Gnade. Von Menschen errichtet, spiegeln sich in ihr das Streben nach Vervollkommnung und Selbststeigerung, die durch Meditation, asketische Übungen und religiöse Rituale erreicht werden. Ontologisch und anthropologisch betrachtet, ist die Himmelsleiter Symbol der Himmelssehnsucht und Grenzüberschreitung; sie bildet die Brücke zwischen Himmel und Erde, zwischen Jenseits und Diesseits, zwischen Heiligem und Profanem. Wie sie den befreienden Aufstieg zu Gott ins Bild setzt, imaginiert die Leiter in dialektischer Weise zugleich die Gefahr des Sturzes und des Scheitern als die Kehrseite zukünftiger Seligkeit.

Die Autoren eröffnen ein kulturgeschichtliches Panorama aus Texten, archäologischen Zeugnissen und Bildern, in denen Leitern, Stufen und Treppen zu Metaphern der Deutung des Lebens und des Todes werden. Sie reichen vom alten Ägypten bis zu Karl Marx, um nur zwei Beispiele zu nennen. Während bei den Ägyptern die Leiter dem Verstorbenen den Aufstieg ins Jenseits ermöglicht, sind für Marx Himmelsleitern etwas für Träumer und Phantasten, nichts für Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und das Paradies auf Erden durch Revolution und die Aufhebung ungerechter Eigentumsverhältnisse begründen wollen. Zwischen Ägypten und Marx liegt ein weites Grabungsfeld, aus dem die Verfasser zahlreiche bekannte und weniger bekannte Namen zu Tage fördern, denen die Himmelsleiter zum Deutungssymbol für ihre Botschaft wird.

Ihren Text illustrieren die beiden Autoren geschmackvoll und kenntnisreich mit Bildern von Leitern, Stufen und Türmen. Dabei berücksichtigen sie gleichermaßen bekannte Tafelbilder (u. a. von Marten van Valckenborch, Pieter Bruegel d.Ä. und Marc Chagall), Buch- und Ikonenmalerei, Abbildungen archäologischer Zeugnisse und Darstellungen der zeitgenössischen Kunst.

Das geistreiche und unterhaltsame Büchlein ist zu empfehlen als Geschenk für Leser, die an theologischen und kulturgeschichtlichen Fragen interessiert sind. Es ist aber auch nützlich als Fundgrube für Theologen, die die Bibel als Literatur begreifen und aus der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte biblischer Motive Denkanstöße für die Verkündigung gewinnen.

 

Insel-Bücherei Nr. 1405

Berlin: Insel Verlag. 2015

104 Seiten m. farb. Abb.

13,95 €

ISBN 978-3-458-19405-7

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