Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Philosophie Magazin Sonderausgabe 07: Die Bibel und die Philosophen

Chefredaktion: Catherine Newmark

„Die Bibel und die Philosophen“: Der Titel macht neugierig und lässt einen das Heft erwartungsvoll durchblättern. Das Inhaltsverzeichnis ist vielversprechend angesichts der mit Textausschnitten zitierten Dichter und Denker, so z.B. von Sigmund Freud, Immanuel Kant, Meister Eckart, Hannah Arendt und Umberto Eco. Durchbrochen wird die Sammlung von zitierten Texten durch kurze Beiträge bzw. Interviews zeitgenössischer Vertreterinnen und Vertreter aus Theologie und Philosophie.

Die spannungsvolle Erwartung wird allerdings durch drei Momente getrübt: Die Chefredakteurin Catherine Newmark hat „philosophische Lektüren der Bibel“ zusammengestellt, die das Alte Testament als ungeheuer bezugsreichen Denkraum eröffnen. Dem aufmerksamen Leser könnte hier bereits eines aufgefallen sein: Der Titel der Sonderausgabe beansprucht, das ganze „Haus“ der Bibel in den Blick zu nehmen; tatsächlich aber fehlt ein komplettes Stockwerk, nämlich die Etage „Neues Testament“. Weswegen neutestamentliche Texte fehlen, bleibt gänzlich unbeantwortet.

Die zweite Beeinträchtigung liegt darin, dass die Frage der Hermeneutik biblischer Texte völlig außen vor bleibt. Das ist umso mehr zu bedauern, als die Hermeneutik eines Augustinus eine ganz andere ist als die eines Jan Assmann, einer Hannah Arendt oder eines Meister Eckart – von allen vieren finden sich im Heft kurze Texte, in denen sie auf alttestamentliche Texte Bezug nehmen. Diese Tatsache erachte ich vor allem für interessierte, aber theologisch nicht so geschulte Leserinnen und Leser für schwierig, weil diese mit der hermeneutischen Fragestellung letztlich alleingelassen werden und damit die Gefahr besteht, dass Immanuel Kant, Umberto Eco und Baruch de Spinoza in Bezug auf die Hermeneutik „in einen Topf geworfen“ werden.

Ein drittes beeinträchtigendes Moment mache ich daran fest, dass die hellenistische Philosophie mit keiner Stimme deutlich wird – und das, wo die weisheitlichen Schriften zu einem nicht geringen Anteil mitbeeinflusst sind von Strömungen hellenistischen Denkens. Insofern wäre es sicher lohnenswert gewesen, in den Abschnitt zu den weisheitlichen Texten auch hellenistische Philosophen einzuarbeiten, die zwar ihrerseits nicht Bezug nehmen auf die biblischen Texte, von denen aber eine umgekehrte Beeinflussung ersichtlich wird – etwa im Buch Kohelet. Gleichzeitig hätten sich Spannungsbögen zum Denken des Paulus – und damit eben auch zum Neuen Testament – ziehen lassen.

Zwei Punkte aus der Sonderausgabe möchte ich eigens hervorheben: Zum einen ist es der Text von Emmanuel Lévinas „Die Geburt der Gerechtigkeit“. Darin setzt sich Lévinas mit der Aussage auseinander, die „Moralvorstellungen des Alten Testaments [seien] als Zeichen grausamer Vergeltungslogik“ (61) zu sehen. Er entlarvt diese Aussage als falsch und stellt vielmehr dagegen, dass die ausgleichende Gerechtigkeit das leitende Interpretationsmotiv ist, um Texte wie etwa Lev 24,10-23 oder Ex 21,23-25 leicht zu verstehen. Dieser Text von Emmanuel Lévinas ist äußerst wertvoll und verhilft hoffentlich, das gern gepflegte Vorurteil gegenüber dem Alten Testament abzubauen.

Zum anderen ist es die Notiz zur Biographie Meister Eckharts: Man könnte meinen, dass man es bei ihm mit einem verkappten, nicht mehr rechtzeitig verurteilten Häretiker zu tun haben könnte. Dem ist aber nicht so! Es stimmt, dass einige Sätze aus seinem Werk in der Bulle „In agro dominico“ von Johannes XXII. (1329) für häretisch bzw. häresieverdächtig erklärt wurden. Es sei aber auch erwähnt, dass in den 1990er Jahren die Glaubenskongregation auf die Anfrage einer Kommission des Dominikanerordens festgestellt hat, dass es keiner Rehabilitierung Meister Eckarts bedarf, weil er nie wirklich in persona verurteilt worden ist, sondern eben nur einige seiner Aussagen. 

Die bislang angeführten Punkte mögen als Erbsenzählerei erscheinen, doch gerade weil das Philosophie Magazin eine weite Streuung erfährt und eine breite Leserschaft angesprochen werden soll, wäre in mancherlei Hinsicht etwas mehr Differenzierung wünschenswert gewesen.

Nichtsdestoweniger finde ich es trotz aller Kritik erstaunlich und erfreulich, dass mit den ansprechenden philosophischen oder kulturtheoretischen Textausschnitten von ihrer innerbiblischen Bedeutung und ihrer Wirkungsgeschichte her wichtige alttestamentliche Textpassagen mit einem Leserkreis zusammengebracht werden, der vermutlich nicht primär theologisch vorgeprägt ist. Es ist beeindruckend zu sehen und zu lesen, welche Geistesgrößen quer durch die Jahrhunderte auf alttestamentliche Texte Bezug nehmen. Insofern ist die vorliegende Textsammlung als wertvoller Impuls zu erachten, der mit Sicherheit nicht nur eine anregende Arbeitshilfe für Religionslehrkräfte darstellt, sondern auch das eigene Nachdenken über biblische Texte fördert! 

Berlin: Philosophiemagazin Verlag. 2016
98 Seiten m. Abb.
9,90 €

 

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