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Rino Fisichella: Der erste moderne Papst. Paul VI. – Wie er wirklich war

Die Moderne ist reich an heiligen Päpsten. Allein im Pontifikat von Papst Franziskus sind drei Päpste der neuesten Kirchengeschichte zur Ehre der Altäre, zu Heiligen der Weltkirche erhoben worden, nämlich Johannes Paul II. sowie die Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI., dem dieses lesenswerte Buch gewidmet ist. Kardinal Rino Fisichella, der Präfekt des Rates für die Neuevangelisierung, stellt Giovanni Battista Montinis Persönlichkeit, seinen Lebens- und Glaubensweg in diesem Band knapp, kenntnisreich und sensibel vor.

Erzählt wird die Vorgeschichte des Pontifikats. Der Kirchendiplomat Montini fürchtete, nicht den Anforderungen des Bischofsamtes zu genügen, als er 1954 zum Erzbischof von Mailand berufen wurde. Er sammelte indessen wertvolle pastorale Erfahrungen. Am Kontakt zu den „Fernstehenden“ war ihm gelegen, die besonders der „Verkündigung des Evangeliums“ und der „Nähe der Kirche“ bedurften. Mailand, so Fisichella, erwies sich als eine hervorragende Vorbereitung auf das „Abenteuer des Petrusdienstes“. Nach dem Tod Johannes’ XXIII. wurde Kardinal Montini zum Nachfolger gewählt.

Wer war Paul VI. „wirklich“? Das „feine Taktgefühl“ des Papstes wird hervorgehoben. Er sei „zu allen freundlich und großmütig gewesen“. Erinnert wird daran, dass er innerkirchlichen Anfeindungen ausgesetzt war. Paul VI. agierte behutsam, korrigierte, aber verurteilte und bestrafte nicht. Die „öffentliche Verhöhnung der Kirche“ galt insbesondere der „Person ihres ersten Hirten“. Die Enzyklika „Humanae vitae“ erregte massiven Widerspruch, in den letzten Jahren des Pontifikates folgte kein weiteres Lehrschreiben. Fisichella erwähnt eine von Montini selbst verfasste „priesterliche Lebensregel“. Demut, Stille und Sorgfalt gelte es zu lieben, methodisch wie strukturiert zu arbeiten und sich nicht mit „nutzloser Lektüre“ aufzuhalten, ebenso wenig dem Pessimismus zu verfallen: „Ich werde meine leidenschaftliche Treue zur Kirche als Lehrmeisterin der Wahrheit pflegen.“ So verstand er auch die Weltoffenheit der Kirche: „Über die Welt: Man glaube nicht, ihr zu nützen, wenn man ihr Denken, ihre Verhaltensweisen und ihren Geschmack übernimmt, sondern indem man sie studiert, sie liebt und ihr dient.“

Mit großem Realismus verfolgte Paul VI. die Entwicklungen seiner Zeit in Politik und Gesellschaft. Seine gesundheitlichen Einschränkungen nahmen zu. Beim Requiem für den ermordeten Freund Aldo Moro 1978 wollte er in San Giovanni im Lateran von der Sakristei zu Fuß bis zur Kathedra zu Fuß gehen, trotz „starker Knochenschmerzen“, aber es war ihm nicht möglich: „Er hatte es noch nie geliebt, den Tragsessel zu gebrauchen – und ich weiß, dass er sich dann immer die Ketten umlegte, die er am Körper trug. Damit wollte er daran erinnern, dass Christus sein Kreuz zur Erlösung der Welt getragen hat. Welch großen physischen und moralischen Schmerz es ihm bereitete, auf dem Tragsessel sitzen zu müssen, verbarg er hinter einem Lächeln. Niemand wusste es.“ Schwermütig und betrübt wirkte der scharfsinnige Intellektuelle auf dem Stuhl Petri zunehmend. Aber die Traurigkeit über die „Sünden der Menschen“ stehe, so Fisichella, „nicht im Gegensatz zur Heiligkeit“ und sei somit „kein Mangel an Hoffnung“.

Bekümmert war der Papst über den Eigensinn bei der Umsetzung der Liturgiereform. Er habe „umsichtig“ regiert, eine große „pastorale Sensibilität“ gezeigt in einer Zeit der „Schnelllebigkeit und Veränderung“. Seine besondere Aufmerksamkeit galt dem Geschenk des Lebens. Fisichella schreibt: „Das Leben ist stets ein Wunder, über das wir nur staunen können. Und das gilt vor allem dann, wenn sich die Wissenschaft mit ihren Gewissheiten brüstet, ohne jedoch sichere Antworten geben zu können. Wir dürfen uns von nichts und niemandem das Staunen nehmen lassen, das unser Dasein mit sich bringt. Das Leben wurde uns geschenkt. Es gehört uns nicht, als wäre es etwas, das wir selbst geschaffen haben und über das wir nach freiem Ermessen verfügen können. Niemand ist aus eigenem Willen auf diese Welt gekommen. Wir alle hängen von Gott ab, der uns mit einem Akt der Liebe gewollt hat.“ Paul VI., so dürfen wir annehmen, hätte diesen Gedanken leise und bedächtig zugestimmt.

Freiburg: Herder Verlag. 2018
157 Seiten
16,00 €
ISBN 978-3-451-34773-3

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