Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Robert Zimmer: Basis-Bibliothek Philosophie

Eine „Basis-Bibliothek Philosophie“ wäre eine schöne Sache, denn insbesondere der philosophische Novize hätte damit einen Kanon unverzichtbarer Bücher von zeitloser Bedeutung, an dem er sich orientieren könnte. Robert Zimmers Zusammenstellung will das leisten. Beginnend mit den Fragmenten der Vorsokratiker stellt der Autor die von ihm ausgewählten 100 Bücher mit Artikeln vom Umfang eines Wikipedia-Eintrages vor. Diese Darstellungen sind gut verständlich und arbeiten Wesentliches heraus. Wird das Buch aber seinem Anspruch gerecht, eine „Basis-Bibliothek Philosophie“ zu sein? Ein solcher Kanon müsste ausgewogen und repräsentativ die philosophischen Denkrichtungen und Problemstellungen behandeln. Die darin aufgenommen Bücher müssten Klassiker sein, was Zimmer für sein Buch auch beansprucht.

Prüft man das Buch an diesem Anspruch, zeigt sich jedoch, dass insbesondere bei den neuzeitlichen Werken die Auswahl einseitig von der offensichtlichen Vorliebe des Autors für materialistisch-naturalistisch orientierte Denker bestimmt ist. Andere Richtungen kommen dadurch zu kurz. Es fehlt etwa die dialogische Philosophie mit so wichtigen Werken wie „Ich und Du“ von Martin Buber und „Der Stern der Erlösung“ von Franz Rosenzweig. Emmanuel Levinas, der mit seiner Philosophie vom „Antlitz des Anderen“ so anregend gewirkt hat, wird lediglich in einem Nebensatz erwähnt. Singers hochproblematische, für die Euthanasie argumentierende Ethik wird empfohlen, ohne die eine Gegenposition beziehenden Werke von Robert Spaemann vorzustellen. Ernst Blochs in seinem Werk „Das Prinzip Hoffnung“ entfalteter eschatologischer Materialismus wird behandelt, ohne die so wichtige Gegenschrift, „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas, überhaupt zu erwähnen, eine Schrift, die grade heute angesichts der Umwelt- und Klimaprobleme ein unverzichtbares philosophisches Buch ist. Neuere Werke zum Leib-Seele-Problem sowie überhaupt die Philosophie des Geistes sind Leerstellen in dieser „Basis-Bibliothek“.

Dagegen werden Bücher als Klassiker vorgestellt, deren bleibende Bedeutung stark anzuzweifeln ist. Wozu etwa sollte man jemandem heute noch La Mettries „Der Mensch als Maschine“ nahelegen, ein Buch das höchstens noch in einem Zweizeiler Erwähnung findet als ein Beispiel für eine verfehlte Übertragung mechanistischer Vorstellungen auf den Menschen. Was soll uns heute noch Georg Lukács „Geschichte und Klassenbewusstsein“ sagen, wo doch selbst der Linken die Arbeiterklasse längst als handelndes Subjekt abhandengekommen ist? Was soll das „Manifest der kommunistischen Partei“, sicherlich eine einflussreiche politische Kampfschrift, in einem Kanon philosophischer Texte? Wozu sollte man den abseitigen Max Stirner lesen, der zum Fortgang des philosophischen Denkens nichts beigetragen hat und eher irritiert als Lebensfragen zu beantworten? Und was qualifiziert eigentlich Wladimir Lenin, der nebenher philosophisch dilettierend an einer materialistisch-atheistischen Staatsdoktrin baute, zur Aufnahme in einen Kanon unverzichtbarer philosophischer Werke? Streckenweise wirkt die „Basis-Bibliothek“ Zimmers wie die Leseliste für die Kaderschulung einer Basis-Gruppe während der 68er-Bewegung. Hier wäre stattdessen Raum gewesen für philosophische Klassiker, die sich den Kernfragen der Philosophie widmen, also: „Wo kommen wir her, wer sind wir, was ist der Sinn, wo gehen wir hin?“

Da sich das Buch an den „philosophisch interessierten Nicht-Profi“ richtet, hätte man auch kritische Einordnungen der jeweiligen Werke erwartet, die auf Fallstricke und Irrwege mancher blendend selbstgewiss daherkommender philosophischer Werke hinweisen. Zimmer kündigt solche „Entscheidungshilfen“ im Vorwort an, beschränkt sich dann aber auf Urteile wie: „Eine Lektüre, die sich lohnt“ oder „eine anschauliche und verständliche Sprache“ usw. Dagegen wird etwa bei der Behandlung materialistischer Autoren kein Hinweis auf die im Rahmen ihres Denkens ungelöste und unlösbare Frage nach Entstehung und Wesen des Bewusstseins gegeben, bei der Behandlung Arthur Schopenhauers kein Hinweis auf den problematischen Analogieschluss von dem in uns selbst erfahrenen Willensimpuls auf das metaphysische Prinzip eines Weltwillens, kein Hinweis auch auf die Gefahren für das Menschenbild durch die Zerstörung der Personalität bei Autoren des Poststrukturalismus.

Leider unterlaufen dem Autor in dem einfach lesbaren Text auch einige unglückliche Formulierungen. So ist etwa Gott nach Baruch de Spinoza kein „freies Wesen“, sondern die Allsubstanz, die alles notwendig nach geometrischer Gesetzmäßigkeit in sich hervorbringt. Und bei Aristoteles ist die zweckfreie Betrachtung als höchste Stufe des Glücks genau das Gegenteil von „selbstbezogen“, nämlich auf Wert und Wahrheit ausgerichtet.

Eine Basis-Bibliothek Philosophie zusammenzustellen ist eine also noch unerledigte Aufgabe. Der hier besprochene Band leistet das nicht.

100 klassische Werke
Stuttgart: Philipp Reclam Verlag. 2019
324 Seiten
12,80 €
ISBN 978-3-15-019632-8

Zurück