Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Rudolf Englert: Was wird aus Religion?

Was bleibt eigentlich von einer Religion, deren Glaubensüberzeugungen nicht nur fraglich geworden sind, sondern zudem auch noch permanent Plausibilisierungsnöte erzeugen? Was ist zu tun, wenn diese Religion epistemische und subjektbezogene Wahrheitsansprüche nicht mehr einlösen kann? Und schließlich: Lässt sich der Bedeutungsverlust des Dogmatischen religionspädagogisch auffangen?

In seinem neuen Buch „Was wird aus Religion?“ geht der bekannte Essener Religionspädagoge Rudolf Englert diesen im Kern mit der Aufklärung gestellten Fragen systematisch nach. Hintergrund seiner Überlegungen sind in erster Linie die inhaltlichen und kommunikativen Nöte der Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die es zunehmend schwerer haben, das christliche Anliegen einer agnostisch-rationalistisch gestimmten Schülerklientel – und häufig auch sich selbst – zu vermitteln. An vielen Stellen des Buches wird freilich noch ein anderer Horizont sichtbar. Der doppelt codierte Titel des Buches hat nämlich nicht nur die Pädagogik im Blick, sondern auch die Verfasstheit der christlichen Religion in Europa – und damit deren Existenzkrise.

Englert kann die eingangs gestellten Fragen natürlich nicht beantworten – wer könnte das auch angesichts des epochalen Wandels im menschlichen Selbstverständnis? Vielmehr dürfen die Leserinnen und Leser dem Autor beim Nachdenken zuschauen. Er geht einigen der in den letzten drei Jahrhunderten gegebenen Empfehlungen zur Neuausrichtung des Religiösen nach und spielt die daraus abzuleitenden religionspädagogischen Konsequenzen durch. Schleiermacher, James und Otto, Bellah, Luckmann und Habermas, Taylor, Rosa und die Rational-Choice-Vertreter kommen zu Wort, um die „Erosion des Dogmatischen“ nicht nur zu beschreiben, sondern Richtungen einer produktiven Verarbeitung anzuzeigen. Soll Religion also zukünftig stärker auf Ästhetik oder auf Praxis, mehr auf Emotion oder doch eher auf den Nachweis einer positiven Glücksbilanz setzen? Literaten, Alltagsphilosophen und Feuilletonisten dürfen ernst oder augenzwinkernd weitere Trampelpfade anempfehlen oder ihre Verlusterfahrungen im „stahlharten Zeitalter der Moderne“ benennen. Englert bemüht sich im besten katholisch-korrelativen Sinne einen Anschluss von Selbsttranzendenzerfahrungen an das Christliche herzustellen. Er sieht allerdings selbst sehr deutlich, dass mit einer Religion, die lediglich „Sehvorschläge“ (Joas) bereithält, in Schule und Kirche rein gar nichts mehr zu gewinnen ist. Wo es Gott nicht mehr im Vokativ gibt, hat er auch im Nominativ ausgespielt (81).

Am Ende des über dreihundertseitigen Problemaufrisses ist deutlich: Ein qualifizierter substanzieller Religionsbegriff, der auf der Linie der abendländischen Glaubens- und Frömmigkeitsgeschichte liegt und sowohl das Subjekt als auch eine nennenswert große Gemeinschaft von Menschen inhaltlich und spirituell orientiert, scheint nicht mehr zu plausibilisieren zu sein, will man nicht im fundamentalistischen Sektierertum landen. Die Postmoderne ist mitten im Alltag der Menschen angekommen und schon Fünfzehnjährige meinen zu wissen, dass Religion eine mehr oder minder raffinierte Form der Selbstmanipulation darstellt, geeignet allenfalls für die „spirituelle Wundversorgung“ (270). Und davon lassen sie sich in der Regel nicht mehr abbringen. Dieser alltagsphilosophische Rahmen scheint alles religionspädagogische und theologische Bemühen ins Leere laufen zu lassen. Eine (unbeabsichtigte?) Erkenntnis des Buches lautet deshalb: Religion ist auserklärt. Der Mensch begegnet nur noch sich selbst, seinen Bedürfnissen, Gefühlen, Gedanken und seinem Wunsch, ganz zu sein – letztlich begegnen wir in Religionsunterricht und Alltagsdiskurs einer „Religion ohne Gott“ (Dworkin). Das ist Englert nicht vorzuwerfen, nicht den Menschen, nicht der Kirche und nicht Nietzsche mit seiner prophetischen Aussage vom „weggewischten Horizont“.

Wer an kulturellen, literarischen und geistesgeschichtlichen Referenzen interessiert ist und von den Schwierigkeiten wissen will, die es gegenwärtig bereitet, Religion zu unterrichten, wird dieses Buch mit Gewinn lesen. Wer hingegen nach der Zukunft des schulischen Religionsunterrichts und nach der Zukunft eines „glaubensgewissen“, aber eben nicht fundamentalistischen Christentums fragt, wird nach der Lektüre des empfehlenswerten Buches angehenden Studierenden raten, ein anderes Fach zu wählen.

Beobachtungen, Analysen und Fallgeschichten zu einer irritierenden Transformation
Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. 2018
325 Seiten
29,00 €
ISBN 978-3-7867-3151-1

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