Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Sibylle Lewitscharoff / Najem Wali: Abraham trifft Ibrahim

Das Buch „Abraham trifft Ibrahim“ ist ein gemeinschaftliches Werk zweier literarischer Schwergewichte, der Schriftstellerin Sybille Lewitscharoff und des Autors Najem Wali. Beide haben in je eigener Weise mit ihren Werken Akzente gesetzt: Sybille Lewitscharoff mit ihren Sprachbildern und -neuschöpfungen, Najem Wali mit seiner Gesellschafts- und Religionskritik. Der Ausgangspunkt war Walis religionsverbindende Idee, ein Buch zu schreiben über Personen, die sowohl in der Bibel als auch im Koran vorkommen und die die Identität von Judentum, Christentum und Islam geprägt haben. Diese Gemeinsamkeiten möchte er als Brücke und als friedensgenerierende Kraft zwischen den Religionen und Gesellschaften fruchtbar machen. Weiterhin hat er das Interesse, die Menschen zu informieren, was wirklich im Koran und in der Bibel steht, denn viele Menschen sind seiner Ansicht nach zwar gläubig, aber kennen nicht mehr die originalen Texte. Stattdessen sind sie überlagert von Legenden, Märchen und Erzählungen, die die oft kargen koranischen oder biblischen Texte spekulativ erweitern, dabei aber immer wieder die Intentionen des Originals verfehlen und eigene Bedeutungen aufbauen, die die ursprüngliche humanitäre Kraft verfehlen und vergessen. Das Schlimme ist, so Wali, dass sich die Legenden, Märchen und Erzählungen als unhinterfragbare Traditionen in den gegenwärtigen Religionen festgesetzt haben und oft als das wahre Glaubensgut angenommen werden. Wali als bekennender Atheist möchte nun die gelebten Religionen, vor allem den gegenwärtigen Islam, vom Ballast dieser Traditionen befreien und dagegen die humanitäre Kraft des Originals stellen, wie sie in den Erzählungen der Bibel und des Korans zu finden sind.

Najem Wali konnte Sybille Lewitscharoff als Mitautorin gewinnen, die arbeitsteilig die jeweilige biblische Person untersucht, während Wali das koranische Pendant beschreibt. Auch für Lewitscharoff ist der aufklärerische Impetus wichtig, denn für sie sind „[e]tliche moderne Leser … halbblinde Textflieger“ (280). Dabei ist ihr Ansatz aber bescheidener als der von Najem Wali. Ihr Interesse ist auch ein literarisches, von daher möchte sie ihre Interpretationen „mit kleinen Geschichten … umzirkeln“ (11f). Zugleich verweist sie darauf, dass weder sie noch Wali Theologen sind, so dass durchaus „Ungereimtheiten“ (12) auftreten könnten.

Die beiden Autoren haben nun neun biblische Personen und ihre Entsprechungen im Koran untersucht. Das Spannende an dem Buch sind die verschiedenen Zugangsweisen: Najem Wali geht oft philologisch an die koranischen Texte heran und erschließt dabei die jeweiligen Personen und ihre Kontexte, bettet sie dann in die (vergleichende) Religionsgeschichte ein und erklärt ihre Umdeutung in den neben dem Koran entstehenden Traditionen. Sybille Lewitscharoff dagegen webt die biblischen Personen in die europäische und zum Teil nordamerikanische Kultur- und Geistesgeschichte ein und zeigt auf, welche Wirkung sie dort hatten und haben. Dabei ist der Übergang zur eigenen literarischen Produktion anhand von Roman- und Erzählelementen fließend.

Der Hinweis von Sybille Lewitscharoff, dass das Buch ein Werk von Schriftstellern und nicht von Theologen ist, sollte bei der Lektüre immer wieder beachtet werden. So sind Najem Walis Analysen scharfsinnig und in einem guten Sinne kritisch, sie verlieren aber manchesmal, vor allem in seiner Urteilsfindung, aus dem Auge, dass gerade gegenwärtig die theologische Diskussion im Islam komplexer ist, als er sie wahrnimmt. Von daher kann er seine hohen Ansprüche, die er formuliert hat, nur bedingt einlösen. Sybille Lewitscharoffs Herangehensweise an die biblischen Personen anhand ihrer eigenen Sprachbilder und ihrer ungeheuren Assoziationsfülle verstellt manchmal den Blick auf die Sache. Ebenfalls unterlaufen ihr handwerkliche Fehler (vor allem in dem Kapitel über König Salomo), die ihr als Religionswissenschaftlerin nicht hätten passieren dürfen.

Als Fazit ist festzuhalten: „Abraham trifft Ibrahim“ ist ein sehr anregendes Buch, das viele Anknüpfungsmöglichkeiten enthält, sich weiter mit den behandelten biblischen und koranischen Personen und den darum kreisenden Gedanken und Einfällen von Najem Wali und Sibylle Lewitscharoff zu beschäftigen. Die Sprache der beiden Autoren ist von hoher ästhetischer Qualität und intellektuell herausfordernd. Die Grenzen des Buches sind schon benannt, vor allem in theologischer Hinsicht. Das Buch ist bestimmt ein Anstoß, wieder einen Blick in die Bibel und den Koran zu werfen – und das ist in der Gegenwart schon eine große Leistung. Wer sich dann noch dazu „verführen“ lässt, tiefer zu graben, der sei auf die gegenwärtige Fülle von vergleichenden Fachpublikationen zu biblischen Personen und ihren Pendants im Koran verwiesen.

Streifzüge durch Bibel und Koran
Die von Najem Wali verfassten Kapitel wurden von Christine Battermann aus dem Arabischen übersetzt
Berlin: Suhrkamp Verlag 2018
311 Seiten
24,00 Euro
ISBN 978-3-518-42791-0

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