Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Stefan Alkier / Thomas Paulsen: Die Evangelien nach Markus und Matthäus

1988 erschien mit dem Münchener Neuen Testament (MNT) eine Übersetzung, die den Grundsatz verfolgte: „So griechisch wie möglich, so deutsch wie nötig“, und die einen Weg zum Original erschließen wollte. Ziel war es, durch Verfremdung der bekannten Texte neue Aufmerksamkeit für den biblischen Text zu gewinnen. Das Frankfurter Neue Testament (FNT) von Stefan Alkier und Thomas Paulsen, Professoren für Neues Testament und Gräzistik an der Universität Frankfurt, dessen zweiter Band mit Neuübersetzungen des Markus- und Matthäusevangeliums nun erschienen ist, verfolgt ein ähnliches Ziel. Das Projekt steht in der lutherischen Tradition und will „nicht kirchlichen Übersetzungstraditionen“ folgen, sondern dem griechischen Text. Die philologisch-kritische Übersetzung hat die Grundsätze: „So wörtlich wie möglich, so frei wie nötig“ und „Was philologisch nicht geht, geht auch exegetisch nicht“.

Die Einleitung in den 2. Band erläutert, dass „Neutestamentliches Griechisch“ eine wissenschaftliche Chimäre ist, verortet die neutestamentlichen Texte in der Sprachfamilie in der Koine des 1. Jh. und betrachtet Sprache und Stil der beiden Evangelien. Sie stellt das Konzept der semantischen Isotopie als Grundlage der Übersetzungsarbeit vor, um „anachronistische Sinneinträge“ wie Buße für metánoia oder „ehemals brauchbare Übersetzungen“ wie Jünger für mathētēs zu vermeiden, „die aufgrund von semantischen Verschiebungen in der Zielsprache ersetzt werden müssen“. Auch in Fragen der Datierungen und Abfassungsverhältnisse der Texte bleibt kein Stein auf dem anderen. Für das Mk erscheinen „alle Datierungsvorschläge ab ca. 40 bis hinein in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts denkbar“ und ob nun Mk von Mt literarisch abhängig ist oder umgekehrt, lasse sich „nicht stichhaltig beweisen.“ Wenn die gängigen Datierungen das Mk um 70 n. Chr. und des Mt 80-90 n. Chr. „vollends jeder seriösen Grundlage“ entbehren, eröffnen sich neue Verstehensräume.

In diese Räume stellen die Übersetzer das Einzige, was wirklich verlässlich erscheint: den biblischen Text. Da das nicht voraussetzungslos geht, finden sich in der Studienfassung Hinweise auf textkritische Entscheidungen (zumeist an der lectio difficilior orientiert), an einigen Stellen werden Grammatikfehler korrigiert und spätere Glossen getilgt. Die Übersetzung wird wie in FNT 1 in einer Lesefassung ohne Kapitel- und Verseinteilung und in einer Studienfassung dargeboten. Der Verzicht auf rezeptionsleitende Überschriften erlaubt die ungestörte Ganzschriftlektüre. Für neue Perspektiven sorgt auch die konsequente Anwendung der Übersetzungsgrundsätze: „Gefüllt ist der Augenblick und nahe gekommen ist die Königsherrschaft Gottes. Denkt um und vertraut auf die Frohbotschaft“ klingt eben doch ganz anders als „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15) – und regt zum Nachdenken an. Manchmal geht die Übersetzung über den griechischen Text hinaus: So steht das hohe Fieber der Schwiegermutter des Petrus nicht in Mk 1,30, sondern nur in Lk 4,38, und dass die des Uria, seine Frau ist (Mt 1,6), verschweigt der griechische Text (schamhaft).

Im Epilog finden sich in den Überlegungen zur Textsorte Evangelium und zur intertextuellen Schreibweise der Evangelien weitere neue Perspektiven. Markus erscheint nicht mehr als Gattung sui generis, Biographie oder Historiographie, sondern als Tragikomödie, die im komischen Unverständnis am Grab mündet, bei dem die Frauen „sich mit ihrer schändlichen Verweigerung der Weitergabe der Auferstehungsbotschaft in das pragmatische Motiv des sogenannten Jüngerunverständnisses ein[reihen], das immer wieder die Schüler Jesu von Furcht ergriffen sein lässt und sie zu lächerlichen Reaktionen führt.“ Nicht nur feministische Leserinnen werden bei dieser Einschätzung schlucken. Der Epilog schließt mit Überlegungen, was man über die neutestamentlichen Autoren wissen kann. Nachdem die Einleitung Hoffnung machte, dass sich auf der Basis philologischer, literaturwissenschaftlicher und theologischer Analysen „ein Kompetenzprofil auch des realen Autors aus Fleisch und Blut erstellen lässt“, ist das Ergebnis, der Verfasser des Mk sei eine Person mit „hervorragender literarischer Kompetenz“, die „jüdische Traditionen und Realien übersetzen möchte“ und dies im Umkreis einer Umgebung tut, „in der das römische Militär präsent war“, ernüchternd. Ein griechisch-deutsches Glossar sowie Ausführungen zu Münzgeld im Neuen Testament runden den Band ab.

Zielgruppe der Übersetzung sind alle, die an einer neuen Begegnung mit der „Jesus-Christus-Geschichte interessiert sind“, wobei Ausstattung und Preis der Reihe eher auf ein akademisches Publikum abzielen. Dem FNT kommt das Verdienst zu, eine Generation nach dem MNT die Beschäftigung mit dem Urtext neu anzustoßen. Die Übersetzung besticht durch ihren genauen Blick und das Ringen um treffsichere Formulierungen. Einleitung und Epilog bieten viele Ansätze, die theologisch bedenkenswert und diskussionswürdig sind, wobei die Verwendung von Fachjargon die Verständlichkeit bei breiteren Zielgruppen erschweren könnte.

Für den Gebrauch in der Praxis wäre es wünschenswert, nach dem Abschluss der geplanten sechs Einzelbände des FNT eine Gesamtausgabe mit Glossar anzubieten, die sich leicht transportieren und in Kaffeehaus wie Kirche gleichermaßen zum Lesevergnügen auspacken lässt.

Neu übersetzt
Frankfurter Neues Testament 2
Paderborn: Brill – Ferdinand Schöningh Verlag. 2001
289 Seiten mit s-w Abb.
56,00 €
ISBN 978-3-506-70435-1

Zurück