Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Stefan Knobloch: Lebenszeichen

Es gibt einen Strudel, in den muss man geraten, um etwas zu schaffen: das Nachtmärchen zum Eindämmern, der tolle Run bei der Mathearbeit, das Musiküben ohne Päuschen. Es trägt einen dann. Und der Strudel garantiert, dass ich an der Sache bleibe, nicht abgelenkt werde. Ich werde immer präziser in dem, was ich will. Wer einen solchen Elan erlebt, entdeckt eine Struktur, einen Code und lernt hoffentlich eine Aufmerksamkeit.

Wir befinden uns hier am Arbeitsplatz von Lehrern. Was hier passiert, ist kein Einzelereignis, kein Super-Event, sondern tagtägliche Übung der Lebendigkeit, geradezu ein Ritual. Entdeckt wird, was jetzt dran ist und was das Ding (der Schlaf, die Logik, die Musik) mir wirklich zeigen kann und will. Und jeder Lehrer weiß: Solche Aufmerksamkeit fällt nicht von Himmel, das bedarf der Übung, des Rituals, sonst ist es im Nu vorbei, ich merkte nichts, verstünde nichts. Allerdings muss das Ritual leer und für unterschiedliche Wirklichkeit offen sein; ein Ritual als Mittel der Indoktrination (funktioniert sowieso nicht und) nähme dem Einschlafen das Süße, der Logik das Aha, der Musik das berührend Wilde. Der „heilige Moment“ im Strudel würde degradiert zum Gähner. Gelingt es hingegen, entwickelt sich die hohe Passivität (gefesselt sein von, Empfänglichkeit) zu hoher Aktivität (Entschiedenheit, Lebendigkeit), wie schon der Mainzer Hermann Volk nicht müde wurde zu erklären.

Der Mainzer Stefan Knobloch nennt dieses besondere Verhältnis zur Wirklichkeit sakramental und versteht Sakramente von Riten her. Riten performieren (rufen wach) die dauernde, nicht an der Oberfläche ersichtliche Gegenwart Gottes. Der Autor entwickelt sein Verständnis von Sakramenten als Ritualen, indem er von der konziliaren Einsicht ausgeht, sakramental seien nicht nur die Sakramente, sondern auch die gesamte Grundstruktur der Kirche. Eschatologische Offenheit und Gehbereitschaft verflüssigt die Taufkartei zu einer Gemeinschaft geteilter Erfahrung; und dies geschieht eben typischerweise in der hoch konzentrierten Form tradierter Riten. Diese zu praktizieren bedeutet mehr als Folklore-Performance. Wo es gelingt, legen Riten offen, ja realisieren sie die sublime Struktur des liebevollen Erschaffungsaktes in aller Wirklichkeit.

Wieso verblassen Riten und Sakramente in der Moderne? Als selber frommer Mensch sieht der Autor einen Mangel an religiöser Ernsthaftigkeit und Lebendigkeit. Er erforscht jedoch auch in Anlehnung an Hans Joas die Sakralisierungspotenz der (säkularisierten) Moderne. Er berichtet von Diclosure-Erfahrungen: da profitiert jemand von der durch rituelle Übung geschärften christlichen Aufmerksamkeit für das im Alltäglichen Überraschende, schaut sich die gewiefte Art ihres Erfahren-Könnens ab und entdeckt für sich und seine alltäglichen Stumpfheiten plötzlich den grundlegenderen Strom von Erfahrungen, Hoffnungen, Trost. Auf einmal erscheint die Schlechtanpassung der Religion (Luhmann) seltsam funktional: Je technokratischer die Moderne, desto bedürftiger sind die Menschen nach Sinnaktionen, wie sie die religiösen Menschen praktizieren.

Mit Edward Schillebeeckx thematisiert der Autor noch einmal neu das Volk Gottes als Sakrament, als eigentliches corpus mysticum. Im leiblich lebendigen Handeln der Christen ereignet sich Gottes Leibhaftigkeit. Das Volk Gottes wird Realsymbol Seiner Präsenz. Diese Präsenz wird erfahrbar, wenn sie performativ im Ritus (geistes‑)gegenwärtig setzt, was sie dem Glaubenden real ist: das gerettete Leben des Auferstandenen, der Auferstandene selbst. In Kurzformeln: „Rituale sind Träger von Bedeutung und Sinn, der da ist“ und „Sakramente sind Bedeutungsträger dieses Daseins Gottes, in der Präsenz des Auferstandenen. Die ganze Schöpfung ist mit Leben und Gnade erfüllt.“

Was macht das Sakrament da? Einerseits verdichtet es die „normale“ Wirklichkeit, indem es diese auf den Begriff und in Bewegung bringt; andererseits öffnet es die einmal so verstandene Wirklichkeit auf größere Horizonte und bringt so die Normalität ins Einstürzen: Wer in der Eucharistie verstanden hat, dass Gott sein Wertvollstes umsonst verschenkt, denkt hoffentlich beim nächsten Bettler anders. Nicht vergessen werden darf, dass es sich hier um eine echte Krise handeln kann, im heftigsten Fall eben eine umstürzende Krise, eine Metanoia: Es kann sein, dass ich aus dem Ritus als ein anderer herauskomme. Damit muss ich erst einmal fertig werden. Das Ankommen des Auferstandenen in der realen Welt hat auch etwas von einem Gericht.

Der Ansatz beim so verstandenen Ritus führt zu Umstellungen in der traditionellen Lehre von den Sakramenten; er beißt sich mit dem opus operatum aus Trient (das freilich auf völlig andere Fragen und Provokationen antwortete) und widerspricht: Heil aus dem Sakrament (der Auferstandene) ist immer da, muss nicht erst neu gemacht werden, das Setzen des Sakramentes/Ritus ruft im Zeitpunkt seines Geschehens diese vorhandene Wirklichkeit in die Erfahrungsdichte hinein. Dabei ist der materiale Gegenstand des Sakraments (Brot, Wasser…) transitiv, Übergangsobjekt.

Schon Schillebeeckx hat schmerzlich erfahren: mit einer solchen Sicht macht man sich auch Feinde. Was ihm neu und einsichtig erschien, ist umstritten. Gut so. Es wird unserem Nachdenken neuen Stoff und unserer Frömmigkeit Entschiedenheit geben.

 

Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. 2014

142 Seiten

14,99 €

ISBN 978-3-7867-3019-4

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