Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Stefan von Kempis (Hg.): Das Schweigen Gottes ertragen

„Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen!“ – Was für eine Aussage, die Jesus im Matthäusevangelium (Mt 16,18) macht. Wer auf Petrus baut, geht – so verdeutlicht der sprechende Name – auf Nummer sicher. Auch die Päpste als dessen Nachfolger und Stellvertreter Christi auf Erden nehmen den Zuspruch Jesu gerne für sich in Anspruch. Er prangt nicht nur in goldenen Lettern in der Kuppel des Petersdoms, sondern dient auch als biblische Begründung für die beiden Papstdogmen von 1870, Unfehlbarkeit und Jurisdiktionsprimat. Der Papst ist dem Selbstverständnis nach felsenfester Garant für den Glauben und besitzt die unumschränkte Leitungsvollmacht in der Kirche. Unabhängig davon, ob man päpstliche Entscheidungen in den unterschiedlichen Bereichen kirchlichen Lebens begrüßt oder sich an ihnen stößt – sie haben großes Gewicht und höchste Autorität. Zweifel und Unsicherheiten sucht man hier oft vergebens.

Der Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Vatican News, Stefan von Kempis, hat nun unter dem Titel „Das Schweigen Gottes ertragen“ ein Papst-Lesebuch der besonderen Art herausgegeben, das diese Wahrnehmung hinterfragt. Ziel des Bandes ist es, zu zeigen, „dass auch den Stellvertreter Christi auf Erden mal Zweifel beschleichen, Zweifel an Gott, Zweifel am Leiden in der Welt, Zweifel am Sinn“. Dahinter steht letztlich die Frage, „ob nicht das Zweifeln fast notwendig zum Glauben dazugehört“ (8). Um diesen grundlegenden Fragen nachzugehen, greift der Herausgeber auf Dokumente aus den letzten fünf Pontifikaten zurück: von Enzykliken bis zu Predigten, von Interviews zu persönlichen Schriftstücken. Die Textsammlung beginnt entgegen der Chronologie bei Papst Franziskus. Dieser hat laut von Kempis bisher am deutlichsten über persönliche Zweifel- und Krisenerfahrungen gesprochen (13). Es schließen sich Texte von Benedikt XVI., Johannes Paul II. und I. an. Die Reihe endet schließlich mit Paul VI., der als erster Pontifex öffentlich über sein Hadern mit Gott und der Welt sprach, was vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) nur schwer vorstellbar gewesen wäre.

Innerhalb der einzelnen Kapitel sind die Auszüge aus den päpstlichen Quellen weder chronologisch noch nach Gattungen geordnet, was die Vielfalt der Situationen, in denen der jeweilige Papst Glaubenszweifel thematisiert, noch augenfälliger macht. Entsprechende Erklärungen und Kontextualisierungen in den einführenden Passagen zu Beginn der Kapitel und in Fußnoten geben eine grundlegende Orientierung, greifen jedoch nicht allzu sehr der eigenen Meinungsbildung bei der Lektüre vor. Persönliche Krisen treten in den Texten ebenso zutage wie die große Theodizeefrage angesichts des Leids in der Welt sowie die Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften oder den Verfehlungen der Kirche in ihrer Geschichte. Besonders eindrücklich sind einerseits die epochalen Ereignisse wie das Schuldbekenntnis im Jahr 2000 und die Terroranschläge vom 11. September 2001 (Johannes-Paul II.) oder der Besuch des deutschen Papstes in Auschwitz 2006 und die Verurteilung des Missbrauchs Minderjähriger durch katholische Geistliche 2010 (Benedikt XVI.). Hinzu kommen andererseits sehr persönliche Bekenntnisse wie Frühmesspredigten von Franziskus oder die Predigt Pauls VI. beim Requiem für den ermordeten italienischen Ministerpräsenten Aldo Moro 1978. Zugleich spiegeln die einzelnen Dokumente das jeweilige Selbstverständnis als Papst wider. In allen Texten geht es darum, das (Ver-)Zweifeln der Glaubenden in der modernen Welt zu thematisieren und den Glauben zu stärken. Einen Unterschied macht es allerdings, inwieweit der einzelne Papst sich selbst zugesteht, öffentlich hadern zu dürfen. Gerade darin besteht die Schwierigkeit der Sammlung, wie von Kempis auch zugibt (81f. bzw. 103), da gerade bei Johannes Paul I. und II. nicht in derselben Weise – wenn überhaupt – von öffentlichem Zweifeln gesprochen werden kann wie bei den anderen.

Der Unterschied wird bereits mengenmäßig deutlich, da fast die Hälfte der Dokumente von Franziskus und Benedikt XVI. stammen (15-81). Etwas aus der Reihe fallen die hier integrierten Auszüge aus Schriften des Professors Joseph Ratzinger, die zweifellos eindrucksvoll sind, jedoch entgegen dem Fokus des Bandes keine Gedanken eines Papstes darstellen.

Von Kempis ist eine vielfältige und nuancenreiche Sammlung gelungen, die den unterschiedlichen Umgang der fünf Kirchenoberhäupter mit der Sinnfrage und den Anfechtungen des Glaubens sichtbar macht. Wer ein erbauliches Buch sucht, wird hier auf jeden Fall fündig und erhält obendrein Einblicke in das Denken der einzelnen Päpste und die aus ihrer Sicht drängenden Fragen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ob sie als Zweifler dem mitunter zaudernden Apostel Petrus in nichts nachstehen, ließe sich anhand der Leseeindrücke sicher ebenfalls trefflich diskutieren.

Päpste und ihre Zweifel
Ostfildern: Patmos Verlag. 2018
128 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-8436-1033-9

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