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Stephen Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen

Albert Einstein war der erste Popstar der Wissenschaftsge­schichte. Er genoss seine Berühmtheit, spielte aber auch mit ihr und war ein regelrechter filou oder sogar ein Clown. Albrecht Fölsing hat in seiner grossartigen Einsteinbiographie diese seine lustige Seite herausgearbeitet. Sie hatte zur Folge, dass Einstein sich über alles und jedes äusserte, aber immer mit einem Au­genzwinkern. Es gibt einige Physiker, die sich auch zu allem äußern, aber ohne die ironische Doppelbödigkeit Einsteins.

Im Wiener Kreis vor 100 Jahren war die „Unified science“ Mode. Weil alles aus Atomen besteht, dachte man, es ließen sich alle Wissenschaften auf die Physik reduzieren. Wer Physik studiert hat, wisse alles. Das glaubt heute niemand mehr. Schon allein die Biologie ließ sich nicht auf die Physik reduzieren, geschweige denn Psychologie, Soziologie oder Geschichtswissenschaft. Daher war der Naturalismus gezwungen, den Kreis der Wissenschaften immer mehr zu erweitern. Heute zählen alle empirischen Wissenschaften zum Naturalismus (was immer das heißen möge).

Stephen Hawking war auch ein Popstar der Wissenschaftsgeschichte und zugleich ein großer Physiker mit wesentlichen Entdeckungen im Bereich der Quantenkosmologie. Als er im März 2018 verstarb, hat man ihn in der Kathedrale von Westminster Abbey in London zwischen Newton und Darwin begraben. Das war eine weise Entscheidung, denn Hawking war einer der ganz Großen. Nicht weniger imponierend ist sein Umgang mit der Amytophen Lateralsklerose, einer Nervenkrank­heit, die im Alter von 21 Jahren bei ihm diagnostiziert wurde und die die Ärzte veran­lasste, seine Lebenserwartung auf wenige Jahre zu begrenzen. Wie sehr sie sich geirrt haben!

Wir können also nicht im Zweifel sein, dass wir es mit einem Genie zu tun haben, und, was vielleicht sogar noch mehr ist, mit einem Menschen, der sein schweres Schicksal mit Geduld und Humor bis zum Ende trug. All dies sei unbenommen. Die im Folgenden geäußerte Kritik an seinen populärwissenschaftlichen Extrapolationen bleibt davon unberührt, denn Stephen Hawking ist ein Physikalist der ersten Stunde. Wer etwas von Physik versteht, der versteht alles und hat zu allem etwas zu sagen.

Hawking war Atheist und hat sich immer wieder zur Frage nach Gott geäußert, so auch in diesem seinem letzten Buch. Seine Schlussfolgerung lautet: Wir brauchen keinen Gott, weil wir alles so erklären können. In seiner Sichtweise ist die Welt aus dem Nichts entstanden. Es gibt dafür keinen Grund. Das Quantenvakuum zerfällt spontan in Materie und Antimaterie. Daraus wird dann die Welt. Wir haben keinerlei Veranlassung, nach der Ursache des Urknalls zu fragen, denn in der Anfangssingularität hört die Zeit auf. Es gibt kein Zuvor und damit keinen Platz für Gott, etwas zu bewirken. Aber all dies ist einfach nur verkehrt.

Zunächst einmal stützt sich Hawking auf eine Vereinigung von Quanten- und Allgemeiner Relativitätstheorie, die höchst umstritten ist. Diese beiden Theorien sind bis heute nicht konsistent verbunden. Damit könnte seine Beschreibung des ersten Anfangs schon rein empirisch falsch sein, abgesehen davon, dass sie selbst dann, wenn sie richtig wäre, durch eine noch bessere überholt werden könnte. Damit rechnet er nicht. Er betont immer wieder, dass die Physik kurz davor sei, die endgül­tige Theorie des Universums entdeckt zu haben. Aber was, wenn es eine solche Theorie überhaupt nicht gibt? Man hat schon oft geglaubt, im Besitz einer endgültigen physikalischen Theorie zu sein, und hat sich jedesmal geirrt. Soviel zur empirischen Grundlage seiner Überlegungen.

Doch weiter: Das Quantenvakuum ist nicht nichts, wenn es doch die Eigenschaft hat, in Materie und Antimaterie zerfallen zu können. Das Nichts (falls es das gibt) kann auch keine Eigenschaften haben. Ferner: Wenn in der Anfangssingularität die Zeit aufhört, dann bleibt doch das Faktum, dass es den Kosmos auch nicht geben könnte, was allein die Frage nach Gott dringlich macht. Eine entscheidende Frage stellt Hawkins niemals: Woher kommen eigentlich die Naturgesetze? Selbst wenn er zeigen könnte, dass die Materie in einem spontanen, unverursachten Prozess entsteht, warum genügt sie dann präzisen, mathematisch beschreibbaren Gesetzen, die seit 14 Milliarden Jahren konstant bleiben?

Es war diese Frage nach der unglaublichen Präzision der physikalischen Grundgesetze, die Physiker wie Planck, Einstein und Heisenberg zu gläubigen Menschen machte (wenn auch nicht zu Christen). Der Physiker und Theologe John Polkinghorne hat solche Gedanken im Rahmen seiner natürlichen Theologie syste­matisiert. Aber an Hawking ist all dies vorbeigegangen, weil er eben glaubt, mit der Physik sei es schon getan.

Der Rest des Buches, der nicht von Physik handelt, ist Common Sense plus blinder Wissenschaftsglaube. Ein Beispiel für viele: Hawking ist sich sicher, dass uns die Roboter demnächst in allem übertreffen werden, um eine neue Stufe der Evolution einzuläuten, bei der wir überflüssig werden. Gleichwohl gibt er ganz biedere moralische Ratschläge, wie wir mit der zukünftigen Robotik umgehen sollten. Was jetzt? Wenn die Roboter uns in Zukunft in jeder Hinsicht übertreffen, dann werden sie sich nicht moralisch von uns ausbremsen lassen.

Hawking ruht in der Kathedrale von Westminster Abbey in London. Er möge ruhen in Frieden. Wir bewahren in ihm das Andenken an einen großen Physiker und Menschen. Seine populärwissenschaftlichen Bücher müssen wir aber nicht wirklich ernst nehmen, noch nicht einmal als Provokation. Er hat damit viel Geld verdient, wie er freimütig gesteht. Es sei ihm gegönnt.

Aus dem Englischen von Hainer Kober unter Mitarbeit von Susanne Held
Stuttgart: Klett-Cotta. 2018
255 Seiten mit s/w-Abbildungen
20,00 €
ISBN: 978-3-608-96376-2

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