Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Suleiman Mourad / Perry Anderson: Das Mosaik des Islam

Der Historiker Perry Anderson skizziert in seinem Buch „Das Mosaik des Islam“ die wichtigsten historischen Entwicklungen, die zur Ausprägung des Islams in seiner heutigen Form beigetragen haben. In einem Gespräch mit Suleiman Mourad, Professor für Religion am Smith College, entstand so ein Mosaik, das die Vielfalt islamischen Lebens zeigt. Das Buch versteht sich nicht als reine Wissensvermittlung und ist als Dialog konzipiert. In ihrem Gespräch streifen die Wissenschaftler die historische, politische und intellektuelle Landschaft des Islams von seiner Entstehung bis in die Gegenwart und spannen einen Bogen von der Geschichte des Korans, über die sunnitisch-schiitische Spaltung bis hin zur Entwicklung des Konzeptes des Dschihad sowie modernen Reformbewegungen. Die Betrachtungen und klugen Analysen sind in den konkreten historischen und geografischen Kontext eingebettet.

Gründlich gehen beide Gesprächspartner etwa auf die Entstehung und zeitliche Datierung des Korans ein, der, als Muhammad 632 starb, noch nicht kodifiziert war. Um das Jahr 650 ließ der damalige Kalif Uthman einen einheitlichen und für alle Gläubigen verbindlichen Standardtext festlegen. Während Forscher wie etwa John Wansbrough (gest. 2002) davon ausgingen, dass der Koran Ende des achten, Anfang des neunten Jahrhunderts vollendet wurde, analysiert Mourad den aktuellen Forschungsstand und weist auf Inschriften und jüngst gefundene Teilmanuskripte des Korans hin, die sich auf das späte siebte oder frühe achte Jahrhundert datieren lassen. Viele dieser Manuskripte wurden in den 1970er Jahren bei Renovierungsarbeiten der Großen Moschee in Sanaa gefunden. Das jemenitische Manuskript enthält maßgebliche Abweichungen von der kanonischen Version des Korans, die die Vermutung nahelegen, dass einige frühe Muslime den Koran als Wort des Propheten betrachtet haben könnten und seine überlieferten Worte erst später zum göttlichen Befehl wurden. Neben Hinweisen auf die zeitliche Datierung geht Mourad auch ausführlich auf einzelne Textkomponenten ein. Der Koran kennt keine klare Chronologie der Texte. Orientalisten, wie Theodor Nöldeke, gest. 1930, oder Richard Bell, gest. 1952, scheiterten in ihrem Vorhaben, die einzelnen Abschnitte (Suren) in chronologischer Reihenfolge zu ordnen. Mourad weist darauf hin, dass die Kommission, die um 650 den offiziellen kanonischen Text komplimentierte, sich für eine abnehmende Reihenfolge entschied, also mit dem längsten Kapitel begann und mit dem kürzesten endete.

Neben der Entstehung des Korans geht es ausführlich um das Konzept des Dschihads, das im Laufe der Geschichte immer wieder neu gedeutet und formuliert wurde. Aus dem Koran wird deutlich, dass der Begriff zweierlei bedeuten kann: Anstrengung oder Kampf auf dem Weg Gottes. Die erste Bedeutung bezieht sich auf jegliche Anstrengung (z.B. ein guter Mensch zu sein, Anstrengung beim Lernen etc.). Andererseits kann Dschihad auch kämpfen auf dem Weg Gottes heißen. Wird im Koran Dschihad in diesem Sinne verwendet, so steht der Begriff immer im Kontext einer kriegerischen Abwehr einer Gefahr, die der muslimischen Gemeinde droht. Den jüngsten Vorstoß, den Dschihad im Islam als internen Kampf zu verstehen, ist demnach unredlich.

Um die Dynamik des wachsenden Antagonismus zwischen Sunniten und Schiiten zu erklären, der aktuell wieder heftig aufflammt, werden mit Sayyid Qutb (1906-1966), Ruhollah Khomeini (1902-1989) und Abu al-Ala-Maududi (1903-1979) die wichtigsten Vertreter des Panislamismus behandelt. Sie wollten, dass die Muslime ihre Differenzen überwinden, und priesen den Islam als Alternative zum dekadenten Kapitalismus und atheistischen Kommunismus an. Es ist gewissermaßen eine Ironie der Geschichte, dass ihre Visionen statt einer Annäherung eine noch tiefere Spaltung des Islams hervorriefen.

Mourad und Anderson nehmen in ihrem Gespräch auch auf Reformer wie Mahmud Taha (gest.1985) aus dem Sudan oder Abdullahi an-Na´im, Professor an der Emory University in Atlanta, Bezug. Beide Reformer entwickelten Lösungen für einen Islam der Moderne. So schlägt Na´im vor, dass die Muslime die klassische Scharia hinter sich lassen und ein System einführen sollten, das ohne die rechtliche Unterwerfung religiöser Minderheiten oder die Einschränkung von Menschenrechten auskommt.

Andersens Anliegen ist es, die Vielfalt des Islam und der Muslime darzustellen. So versteht er sein Buch als Plädoyer für eine neue Betrachtungsweise islamischer Traditionen und Geschichte, die mit großer Sorgfalt analysiert werden. Das Buch trägt so zu einem tieferen Verständnis des Islams bei.

Aus dem Englischen von Anne Emmert
Berlin: Berenberg Verlag. 2018
152 Seiten
22,00 €

ISBN 978-3-946334-31-6

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