Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thierry Boissel: Poesie aus Licht, Glas und Farbe

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Dreigestirn Georg Meistermann, Ludwig Schaffrath und Johannes Schreiter den internationalen Ruf deutscher Glasmalerei begründet. Bei aller Unterschiedlichkeit verbindet die großen Drei der „German School“ miteinander, dass sie auch gezeichnet und gemalt haben und sich daher der unterschiedlichen Wirkung des Lichts, das durch die Fenster in öffentlichen Gebäuden dringt oder auf ein Gemälde fällt, sehr bewusst sind. Sie sehen in der Glasmalerei keine autonome, sondern eine der Architektur dienende Kunst und halten am grafischen Gerüst der Bleirute fest. Außerdem waren die drei Glasmaler akademische Lehrer mit einer Vielzahl von Schüler/innen, die nun ihrerseits ambitionierte Glaskunst schaffen – wie etwa Thierry Boissel.

Schauen wir zunächst auf zwei Bauwerke im Bistum: Im Auftrag der Hochtaunus-Kliniken, des Bistums Limburg und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau haben der französische Glaskünstler Thierry Boissel und der deutsche Bildhauer Daniel Bräg jüngst die Klinikkapellen in Bad Homburg und in Usingen mit Glasfenstern und den Prinzipalstücken Altar, Ambo und Tabernakel ausgestattet. Das gemeinsame Konzept beider Künstler sah vor, Utensilien aus dem Klinikalltag zu integrieren.

Wie hat der Glaskünstler die Krankenhausutensilien genutzt? Für die schmalen Fensteröffnungen hat Boissel Doppelglasfenster geschaffen und zwischen Außen- und Innenglas Material gefüllt. Wer eine der beiden – aus Kostengründen fast identisch gestalteten – Kapellen umrundet, wird in den je unterschiedlich gestalteten Fenstern hinter transparentem Glas Plastikbecher, Glasbehälter oder Schläuche erkennen – Gegenstände also, die für die Heilung von Patienten benötigt werden. Wer danach die Kapelle betritt, sieht diese Gegenstände – wortwörtlich – in einem anderen Licht. Denn die Innenseiten der Kapellenfenster sind teilweise satiniert, mit Schmelzfarbe überzogen und von unterschiedlicher Farbe. Zwar scheinen die Utensilien durch, verändern aber durch das von außen einfallende Licht ihren Charakter. Anders formuliert: Auf dem Weg von Außen nach Innen geschieht (Ver)Wandlung; wer sich und seine Krankheit in neuem Licht zu sehen vermag, der kann – vielleicht – Heilung nicht nur in einem physischen Sinn erfahren. Gut, dass der Klinikseelsorge solche Räume zur Verfügung stehen!

Wer nun motiviert ist, sich genauer mit der Glaskunst von Thierry Boissel zu beschäftigen, dem sei der Katalog seiner großen Ausstellung im Deutschen Glasmalerei-Museum in Linnich im Jahr 2015 empfohlen, die sich sinnigerweise an die seines Lehrers Schaffrath anschloss. Anders als sein Lehrer setzt sich Boissel von der klassischen Bleiverglasung ab und versucht durch den Einsatz neuer Techniken eine eigene Bildsprache zu entwickeln. So setzt er Glasverschmelzung ein, indem er transluzente und opake Emailfarben auf Glas aufbringt, wodurch – etwa auf der Lärmschutzwand einer Grundschule – zauberhaft schwebende Farbkleckse entstehen; dabei wird aus der klassischen Malerei mit Glas in eine Malerei auf Glas.

In der Tradition klassischer Glaskunst bleibt Boissel, wenn er durch den Einsatz thermischer Verformung vielfältige ornamentale Muster ins Glas bringt. Bei der Arbeit an der menschlichen Figur setzt der Glaskünstler neue Akzente, indem er durch reliefartige, ins farblose Glas eingeschmolzene Punkt- und Streifenraster lebensgroße, fotorealistische Figuren schafft, die, im öffentlichen Raum ausgestellt, je nach Lichteinfall anders erscheinen.

Wenn von Glasmalerei die Rede ist, muss mit dem Glaskünstler stets auch die ausführende Werkstatt, hier insbesondere Glasmalerei Peters in Paderborn, genannt werden. Zu Recht stehen die ausgestellten und dokumentierten, insgesamt doch ganz unterschiedlichen Arbeiten Thierry Boissels unter dem schönen Titel „Poesie aus Licht, Glas und Farbe“. Bis zum 10. April 2016 können sie im Vitromusée Romont (Schweiz) bestaunt werden.

 

Linnich: Deutsches Glasmalerei-Museum. 2015

192 Seiten m. farb. Abb.

19,00 €

ISBN 978-3-9810046-8-7

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