Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thomas Fuchs: Verteidigung des Menschen

Wird der Mensch nur noch als eine Art informationsverarbeitendes System mit dem Gehirn als Schaltzentrale aufgefasst, ist damit das eigentlich Menschliche negiert, insbesondere die Freiheit, sich anhand von Werten zu entschließen, selbstlos gegen egoistische Antriebe zu handeln und sich selbstbestimmt über Naturzwecke zu erheben bis hin zum Selbstopfer. Genau das aber unternimmt ein breiter Strom naturalistischer Theorien der sogenannten Neurophilosophie, die mit Schlagzeilen wie „Niemand ist frei“ oder „Wie das Gehirn die Seele macht“ die Feuilletons dominieren. Was kann dann noch die unantastbare Würde dieses biologischen Systems Mensch sichern, wenn es sich lediglich dadurch von den sauberen Verdrahtungen in der Hardware eines Computers unterscheidet, dass seine Verschaltungen in einer grauen, glibberigen Hirnmasse stattfinden, von Vertretern dieser Auffassung mit leisem Abscheu „Wetware“ genannt.

Thomas Fuchs, Psychiater und Philosoph, Karl-Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, tritt diesen Thesen mit neurobiologisch und philosophisch fundierter Argumentation entgegen. Nach seinem grundlegenden Werk „Das Gehirn – ein Beziehungsorgan“ zur Kritik des Dualismus von Körper und Gehirn legt er mit dieser Aufsatzsammlung nun den Schwerpunkt auf die Verteidigung des humanistischen Menschenbildes, auf die „Verteidigung des Menschen“, wie der Kampfruf des Titels zugespitzt lautet, was keinesfalls eine Übertreibung ist, denn die in der öffentlichen Wahrnehmung dominierenden und unser Selbstverständnis prägenden naturalistischen Auffassungen heben den Menschen als Menschen auf.

Der Autor zeigt die Widersprüche, Denkfehler und Gefahren dieser mit der Allgegenwart digitaler Systeme plausibel erscheinenden Theorien und Zukunftskonzepte. Er arbeitet den Unterschied zwischen der sogenannten „künstlichen Intelligenz“ und verleiblichten Personen heraus. Er zeigt, warum die Utopie des Transhumanismus scheitern muss, der Leiden, Krankheit und Tod überwinden will, indem er mit den Mitteln der Digitaltechnik unseren Leib ersetzt, der als ein misslungenes Produkt der Evolution angesehen wird. Er analysiert, was es bedeutet, wenn Kommunikation im virtuellen Raum die reale „zwischenleibliche“ Begegnung zunehmend ersetzt, und er arbeitet die Denkfehler des Neuro-Konstruktivismus heraus, nach dem wir selbst und die Welt ohnehin nur innere Simulationen und „Kopf-Kino“ sind. Fuchs erweist im Widerspruch gegen den Naturalismus, der Subjektivität nur als Epiphänomen von Prozessen im Gehirn kennt, die „verkörperte Subjektivität und verkörperte Freiheit“ des Menschen, der sein Leben „zukunftsoffen“ denken kann. Schließlich zeigt er die Auswirkungen einer „zerebrozentrischen“ Sicht, die seelisches Leiden allein in Hirnprozessen finden will, auf die Psychiatrie und endet mit einem warnenden Hinweis auf die krankmachenden Beschleunigungs- und Digitalisierungsprozesse der heutigen Gesellschaft, die eine Störung der „zyklisch-leiblichen Eigenzeiten“ mit ihrem natürlichen Rhythmus des Lebens zur Folge haben und damit „Burn-out“ bzw. Depressionen auslösen können.

Grundlage der Argumentation ist eine Anthropologie, die den Menschen wieder als verkörperte Einheit denkt und als handelnd einbezogen in die insbesondere in der Interaktion mit anderen Menschen sich als real erweisende Lebenswelt. Unser Bewusstsein ist „verkörpertes Bewusstsein“, das im gesamten Leib gegenwärtig ist, es ist dort, wo es mit der Welt in Kontakt ist. Wir spüren den Schmerz im Finger, wenn wir uns schneiden, und nicht im Gehirn. Dieses verkörperte Bewusstsein ist nach Fuchs ein „‚Integral‘ über dem lebendigen Organismus insgesamt“. Gegen den Dualismus von Körper und Gehirn der Neurophilosophie, der eine modische Neuauflage des cartesianischen Dualismus ist, kommt Fuchs damit, wie er selbst bestätigt, zu einer Auffassung, die der klassischen, von Aristoteles grundgelegten und durch Thomas von Aquin vertieften Lehre von der leib-seelischen Einheit der Person nahesteht. Edith Stein etwa bezeichnet daran anschließend die Seele als „hineingewurzelt“ in den Leib. Allerdings ragen nach Thomas von Aquin die geistigen Vermögen über ihre leibliche Einverwurzelung hinaus, denn sie sind zwar verwiesen auf körperliche Organe, aber nicht „gänzlich von der Materie durchdrungen oder in sie eingetaucht“. Die Seele behält damit ihren Selbststand, obwohl sie in die substantielle Einheit des individuellen Menschen eingeht. Diesem Substanzdenken folgt Fuchs allerdings nicht. Die Schwierigkeit, die damit entsteht, zeigt ein Kapitel, in dem er die personale Identität und den Fortbestand des Selbst in der Demenz auf das weiterwirkende Leibgedächtnis stützt. Auf komatöse Patienten lässt sich das so nicht anwenden, wenn man das Selbst nicht als Substanz denkt.

Dieses klar und sorgfältig argumentierende Buch ist jedem empfohlen, der sich mit den zeitgeistigen naturalistischen Lehren vom Menschen kritisch auseinandersetzen will.

Grundfragen einer verkörperten Anthropologie
Berlin: Suhrkamp Verlag. 2020
331 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-518-29911-1

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