Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thomas Quartier: Rituale Leben

Nach „Das Kloster im eigenen Leben. Monastische Spiritualität als Provokation“ (2016), „Heilige Wut. Mönch sein heißt radikal sein“ (2018) und „Lebenslieder. Ein Soundtrack für Klosterspiritualität“ (2019) erkundet der Benediktinerpater Thomas Quartier, Mönch der Abtei Keizersberg und Professor für Monastische Studien an der Katholischen Universität Leuven (BE), mit dem vorliegenden Band abermals die Relevanz von Klöstern für unsere heutige Gesellschaft. Grundmelodie dieser Suchbewegung ist die Frage nach Ritualen, die in Krisen- und Übergangszeiten Halt und in den Vollzügen des Alltags Struktur geben können.

Die Überlegungen gliedern sich in 10 Kapitel, die jeweils mit einer Schwarz-Weiß Fotographie eröffnet werden, die mehr als bloß schmückende Beigabe sind. Dem Kapitel „Zeit für Rituale“ ist beispielsweise der Blick auf ein leeres Chorgestühl vorangestellt, dem Abschnitt „Rituelle Haltung“ ein Foto, das eine leere Bank am Waldrand zeigt. Welche Bedeutungszusammenhänge deuten sich hier an? Welche Resonanzen evoziert das Zusammenspiel von Bild und Text? Welche Symbolik prägen die „rites de passage“, um es mit Arnold van Gennep zu sagen, die sich in jedem Leben ereignen?

Quartier legt keinen Ratgeber vor, der leichtfertig Tipps oder schnelle Antworten gibt, er schreibt vielmehr wohltuend essayistisch, fragend und suchend und regt stets zum Mit- und Nachdenken an. Genau in der Mitte des Buches öffnet sich der „Raum für Rituale“ – ein Kapitel, das von einem besonderen Bild flankiert wird. Die Leser und Leserinnen schauen auf die Rückenansicht einer übermenschlich großen Muttergottesfigur mit Jesuskind auf dem Arm, die oberhalb einer Stadt installiert ist – vis-à-vis mit Hochhäusern und verschachtelten Wohnblocks im Tal. Im dazugehörigen Essay führt Quartier aus – ohne auf das Bildmaterial Bezug zu nehmen –, wie es um die Bedeutung ritueller Räume steht. Dass viele Kirchen nur noch sonntags geöffnet sind und dadurch den Eindruck erwecken, „als nähmen sie sinnlos Raum in Anspruch, der nur unnötig Geld kostet“, kontrastiert er mit den rituellen Räumen des Klosters, die weder multifunktional noch neutral seien, und diagnostiziert: „Wenn das Verlangen, rituell zu handeln, nicht mehr räumlich verortet ist, schwindet damit auch das Bewusstsein der geistlichen Offenheit […].“ Ein ritueller Raum müsse im besten Sinn ein Platzhalter, ein „Freiplatz“, ein Lebensraum für viele sein, der sich nicht allein durch seine Funktionalität verstehen, geschweige denn erleben lasse. Vielmehr sei gerade durch die „Non-Funktionalität des rituellen Raums“ eine Chance für Identität und Offenheit, für Stabilität und Flexibilität gegeben. Was das konkret heißen könnte, deutet Quartier mit dem Hinweis auf „Kerzenständer bei einer Ikone“ oder den „Fürbittenbüchern, in denen Menschen [nicht nur Katholiken!] ihre persönlichen Nöte und Bitten niederschreiben“ nur an. Hier werde jedenfalls die Offenheit einer rituellen Handlung in einem christlichen Raum nicht als Gegensatz zur eigenen Identität erfahren.

Die „Suchbewegungen“, die Quartier von aktuellen Situationen ausgehend unternimmt, halten stets auch Rückschau in die Traditionen klösterlichen Lebens und fragen nach den Quellen des Mönchtums und ihren Potenzialen für die Gegenwart: „Rituale leben bedeutet nicht leere Routine, sondern ständige Identitätsfindung durch ein Repertoire, in dem es sich leben lässt. Wenn viele sich in der Pandemie in einem unfreiwilligen Kloster wähnten, dann reicht es nicht, die Abgeschiedenheit zu betonen. Vielmehr muss man auch die Offenheit der klösterlichen Lebensform in der eigenen Situation entdecken. […] Nur wer wirklich offen ist für die wunderbaren geschenkten Situationen des rituellen Lebens, wird die Antwort für sich finden können.“

Das Buch ist leicht zu lesen und selbst ein „Rituallaboratorium“, das dazu anregt, sich mit dem Thema rituelle Handlungen, Lebensstruktur und Identität zu beschäftigen.

Suchbewegungen im Mönchtum
Würzburg: Echter Verlag. 2021
200 Seiten m. s-w Abb.
16,90 €
ISBN 978-3-429-05527-1

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