Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Thorsten Dietz: Gott in Game of Thrones

Die äußerst wirkmächtige und hochgelobte Fernsehserie „Game of Thrones“ beruht auf der fast abgeschlossenen Romanreihe „A Song of Ice and Fire“ (Das Lied von Eis und Feuer) von George Raymond Richard Martin (*1948). Die räumliche Grundkonstellation, innerhalb der die Romanfiguren agieren, ist eine Region namens „Westeros“, in der die zeitliche Erstreckung der Sommerzeiten unsicher ist und immer ein unübersehbar langer Winter droht. Deshalb lautet der Leitspruch der den Norden von „Westeros“ verwaltenden Lords: „Der Winter naht“. Die Handlung spielt wesentlich im Bereich dieses Kontinents „Westeros“, auf demdie „Sieben Königslande“ um Vorherrschaft und Macht im Schatten des sie verbindenden „Eisernen Thrones“ mit wechselnder Intensität konkurrieren bzw. kämpfen. Im Vorwort erläutert Thorsten Dietz, dass sich sein Buch an Leserinnen und Leser wendet, denen der eigene Glaube vielleicht klarer werden kann, aber auch an jene, die sich für weltanschauliche Fragen interessieren oder denen Religion bzw. Atheismus selbstverständlich geworden ist und die deswegen Interesse an einer neuen Perspektive haben. Er betrachtet seine Rolle als die eines „Reiseführer(s), der zweierlei bietet: a) Hintergrundinformationen zur Geschichte der Religionen, die in ‚Game of Thrones‘ verarbeitet sind; wer mehr weiß, sieht mehr. Und b) Anregungen und Warnungen für die Gestaltung der eigenen Reiseroute“ (9). Am Ende des Buches habe ich als Leser das angenehme Gefühl, dass es dem Autor geglückt ist, weltanschauliche Orientierung und Fragen unserer Zeit durch den Bezug auf „Game of Thrones“ zum Sprechen zu bringen.

Anders als J.R.R. Tolkien, dessen Katholizismus zwar aus dem „Lord of the Rings“ herausleuchtet, der aber nie nennenswerte Bezüge zur religiösen Vorstellungswelt der Menschen zu Elfen, Hobbits und Orks herausgearbeitet hat, erarbeitet George R. R. Martin eine „höchst komplexe Religionsgeschichte“ (12). Diese Religionsgeschichte wirkt nur auf den ersten Blick vormodern. Die Rede vom „ferne(n) Spiegel“, von dem Barbara Tuchman im Hinblick auf das Mittelalter spricht, gilt nach Dietz auch für den fiktiven Lebensraum „Westeros“, in dem die Handlung der Roman- bzw. Fernsehserie weitgehend spielt. Zugleich ist dieser ferne Spiegel nicht nur ein Blick auf die mittelalterliche Vergangenheit unserer realen Welt, denn die Religionen von „Westeros“ spiegeln im Letzten unsere Zeit – wenn man die „Standarderzählung“ (17) zum Thema heutiger Religionsgeschichte, das Thema Säkularisierung und die Frage, was dieselbe mit den Menschen im Hinblick auf ihre weltanschauliche Orientierung und Sinnsuche macht, zugrunde legt. Dietz macht darauf aufmerksam, dass die meisten zentralen Figuren „von Anfang an nur schwache oder keine religiösen Bindungen“ (22) haben. Zugleich ergibt sich im Verlaufe der Handlung, dass immer wieder die wesentliche Bedeutung der Religion, ihre Gefährlichkeit und zugleich ihre Faszination deutlich werden.

Der Verfasser hat ein exzellentes Buch vorgelegt, das einerseits als Einführung in die Romanreihe bzw. Fernsehserie gelesen werden kann und zugleich andererseits in der Lage ist, geradezu paradigmatisch vorzuführen, wie man etwas aus dem Bereich der modernen Unterhaltungskultur (ich meine hier jetzt nur die Fernsehserie, die Romanreihe kann sich literarisch durchaus sehen lassen) so zum Sprechen bringen kann, dass es zu einer Relecture des eigenen Glaubens zu verhelfen vermag. Differenziert und feinfühlig werden einige der Hauptakteure als Repräsentanten einer bestimmten Mentalität besprochen. Besonders die Figur Jon Schnee hat es Dietz angetan, die für ihn eine Christusfigur ist, vergleichbar mit Fjodor M. Dostojewskis Fürst Lew Myschkin in seinem Roman „Der Idiot“ (1866-1868). Und der schwerstbehinderte Brandon Stark wird herausgearbeitet als ein in sich ausgesöhnter Übermensch, den zu beneiden niemand Grund hat. Zum Schluss des Ganzen spielt ein feuerspeiender Drache noch seine Rolle, wenn er den umkämpften „Eisernen Thron“ zum Schmelzen bringt. Dann werden die Karten neu gemischt und das Unverfügbare der Geschichte von allem und so auch der Menschengeschichte wird sichtbar.

„Tyrion Lennisters Rat an Jon Schnee aus der ersten Staffel erweist sich als eine der zentralen Botschaften der Serie. Erkenne deine Grenzen. Akzeptiere deine Makel. Wir sind gebrochene Menschen in einer wunderschönen, verletzten Welt“ (211). Für Religionslehrerinnen und Religionslehrer, die einen Bezug zu den Erlebniswelten ihrer Schülerinnen und Schüler haben, ist das Buch ein exemplarischer Beitrag, wie man über Fernsehserien ins Gespräch kommen kann.

Was rettet uns, wenn der Winter naht?
Überraschende Erkenntnisse über die Religionen von Westeros

Asslar: adeo-Verlag. 2020
224 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-86334-248-7

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