Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Tiemo Rainer Peters: Entleerte Geheimnisse

„Was nicht festgehalten wird, ist nichts. Was festgehalten wird, ist tot.“(17) Dieses Wort von Paul Valéry zeigt das Spannungsfeld, in dem sich Tiemo Rainer Peters‘ Buch „Entleerte Geheimnisse – Die Kostbarkeit des christlichen Glaubens“ bewegt. Motiviert, etwas von dem Reichtum des Christseins dem Leser unserer Zeit zugänglich zu machen, etwas, von dem heutzutage oft kaum mehr als eine Worthülse oder ein den aktuellen Bedürfnissen angepasster Inhalt übriggeblieben scheint, lenkt Peters in jedem Kapitel den Blick auf einen Grundbegriff des Glaubens. Seine Absicht ist es, das verständlich zu machen, was die Tradition, insbesondere die Botschaft der Evangelien birgt, und damit zu vermeiden, den Glaubensinhalt dem Zeitgeschmack anzupassen.

So wird in jedem Kapitel nach einer einleitenden Darstellung der Problematik, den die Moderne mit dem Verständnis des betreffenden Begriffs hat, auf dessen Bedeutungsgeschichte in Bibel und Tradition eingegangen. Daraus entwickelt Peters Ansätze für ein Verständnis, das sowohl den Fragen unserer Zeit als auch dem biblischen Sinn gerecht wird. Am Ende jedes Kapitels wird der entwickelte Gedanke auf die Glaubens- und Lebenspraxis des Menschen bezogen. Angeregt werden viele seiner Überlegungen vor allem von Dietrich Bonhoeffers Überlegungen, aber auch denen von Karl Rahner und Johann Baptist Metz.

Das Bemühen, im Sinne von Valéry zwar etwas festzuhalten, damit es nicht Nichts ist, und es gleichzeitig als der letzten menschlichen Verfügbarkeit Entzogenes zu bestimmen, damit es nicht seine Lebenskraft verliert, bleibt im gesamten Gedankengang spürbar und kann wohl als gelungen angesehen werden.

Dies wird im ersten Kapitel über das „Wort Gottes“ mit Nachdruck eingeführt, indem Peters aufzeigt, dass ein Wort unabhängig von einem Kommunikationszusammenhang seine Bedeutung als Wort verliert. Für das Verstehen ist nicht allein die Formulierkunst des Sprechenden bzw. die Übersetzungskunst des Exegeten, sondern ebenso der Angesprochene, der Hörer konstitutiv. Eine Reduktion der Mitteilung auf den bloßen Text kann diesen nicht als Ausdruck von Glaubenserfahrung erfassen, was ohnehin angesichts der großen zeitlichen Distanz schwierig ist, die die biblischen Autoren zu unserer Zeit haben.

So ist es für Peters nicht das Wichtigste zu ermitteln, was die Wahrheit des bloßen Textes (wissenschaftliche Exegese) ist, sondern wie sich darin Wahrheit für den Hörer erschließt („freimütige Predigt“). Diese lebenspraktische Wendung macht deutlich, dass der christliche Glaube seine im Titel erwähnte „Kostbarkeit“ nur erweisen und bewahren kann, wenn er in den Lebensvollzügen wirkt und dort aufs Spiel gesetzt wird.

Peters weist immer wieder darauf hin, dass der Glaube und die Begriffe, die ihn ausdrücklich machen, in die Mitte des Lebens gehören, sich aber einer erweiternden Perspektive, der der Gottesbeziehung, öffnen müssen. So wird etwa der Begriff „Reich Gottes“ weder allein dem Diesseits noch dem Jenseits zugeordnet. „Erlösung“ macht den Menschen nicht nur zum passiven Empfänger, sondern nimmt dessen Freiheit ernst, ohne dass diese über alles verfügen könnte. Peters findet in dem Begriff „befreite Freiheit“ einen Ausdruck für „Gnade“ (117), die als „Liebe“ verstanden und gelebt werden soll. Hier ist allerdings der Nachsatz, dass die eigene Freiheit bei der des Anderen ende, nur sinnvoll, wenn man zu einem pragmatischen Begriff von Freiheit wechselt.

Die Konsequenz, mit der Peters sich einer Verfestigung des Christlichen auf festzuhaltende „Glaubenswahrheiten“ verweigert, gipfelt in der provokanten Aussage, dass Gott „im Widerspruch mit sich identisch“ sei (134). Weil sich das Glaubensgeheimnis der wissenschaftlichen Beweisbarkeit, der technischen Handhabbarkeit und der ökonomischen Verwertbarkeit entzieht, erweist sich seine Kostbarkeit, wenn es im Leben als Provokation vollzogen wird.

Nimmt man dies ernst, und ich meine, man sollte das tun, dann können die Gedanken dieses Buches nur dann wertvoll sein, wenn man sich davon anregen lässt, die eigenen Glaubensvorstellungen zu hinterfragen. Damit der eigene Glaube nicht Gefahr läuft, sich in leeren Formeln zu erschöpfen, sei die Lektüre besonders denen empfohlen, die anderen den Glauben vermitteln wollen. Durch manche überraschende gedankliche Wendung vermag Peters die Glaubensreflexion anzuregen, zu zeigen, dass es sich lohnt, das Risiko einzugehen, den eigenen Glauben aufs Spiel zu setzten, damit aber zu verhindern, dass er durch ängstliches Festhalten schon vorzeitig tot ist.

Die Kostbarkeit des christlichen Glaubens
Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag. 2., korrigierte Auflage 2017
142 Seiten
17,00 €
ISBN 978-3-7867-4017-9

Zurück