Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Tomás Halík: Ich will, dass du bist

Tomás Halík hat sich seit einigen Jahren als theologischer Schriftsteller auf dem deutschen Buchmarkt etabliert. Der ehemalige tschechische Untergrundpriester und Havel-Freund, der Philosoph, Soziologe, Mystiker und Psychotherapeut besitzt eine der wenigen Stimmen von Gewicht, die aus dem Gebiet des ehemaligen Ostblocks in Sachen Religion und Spiritualität auch bei uns im Westen Gehör finden. In seinen Grübeleien, Reflexionen und Meditationen Geduld mit Gott und Nachtgedanken eines Beichtvaters sowie Nicht ohne Hoffnung (vgl. Eulenfisch Literatur 1/2015) variiert er wie auch in seiner Autobiographie All meine Wege sind dir vertraut ein einziges Grundthema: Wie finde ich nach dem Zusammenbruch der Metaphysik, in einem Zeitalter des Agnostizismus und Atheismus, des säkularen Humanismus, aber auch des neuen Fundamentalismus einen Zugang zu dem Geheimnis, das der biblisch inspirierte Glaube „Gott“ nennt?

In dem schon 2012 auf Tschechisch veröffentlichten Ich will, dass du bist mit dem Untertitel Über den Gott der Liebe möchte Halík zunächst aufzeigen, dass der Glaube wesentlich Wagnis und Weg („Methode“) ist. Säkularität wird als Chance begriffen, das Proprium der christlichen „Option“ – um nichts anderes kann es sich nämlich angesichts der Mehrdeutigkeit der Wirklichkeit handeln – deutlicher zu akzentuieren, als es in einer christentümlichen Kultur jemals möglich war. Halík zufolge leben wir in einer Epoche des „Karfreitag“ – einem Zeitalter der Verborgenheit und des Schweigens Gottes, einem Saeculum der Agonie des Glaubens für atheistische Zeitgenossen, einem Zwischenstadium der Hoffnung hingegen für diejenigen, die von Gott noch ein „zweites Wort“ erwarten: „Glaubenskrisen sind ein wichtiger Bestandteil der Kommunikationsgeschichte, unserer Kommunikation mit Gott.“ (39) Dazu gehören Halík zufolge auch „Durchhänger“ (226), die sowohl das individuelle Glaubensleben wie auch die Glaubenskultur eines Zeitalters prägen müssen, wenn Glaube reifen und nicht verwechselt werden soll mit dem, was Menschen sich als Idol jeweils ausdenken.

Wer die vorhergehenden Bücher von Halík kennt, wird sich u. U. über die zahlreichen Wiederholungen ärgern: das Lob für den klassischen Atheismus als Anweg zu Gott, die Kritik an den Fundamentalisten, die mit ihren schnellen Antworten die absolute Transzendenz Gottes antasten, die Auseinandersetzung mit dem „oberflächlichen Zeitgeist“ und seinem seichten Kult der Authentizität, der in Fastfood-Manier mit den Komplexitäten des Lebens und des Glaubens fertig werden möchte, die Vorliebe für die großen „Existenzialisten“ im Glauben – Abraham, Paulus, Augustinus, Meister Eckhart, Pascal, Kierkegaard – und das „Hohelied“ auf den großen „Propheten“ und das Einsiedler-Vorbild Nietzsche, den furchtlosen und jakobsgleichen „Ringer mit Gott“. Der Rezensent hingegen erfreut sich an den für Halík typischen einprägsamen Sprachbildern, die biblische Motive mit existenziell bedeutsamen „Wegerfahrungen“ des modernen „Zachäus-Menschen“ verknüpfen und so etwas wie einen Schlüssel für eine das Leben erschließende Meditation der Heiligen Schrift liefern: „Ein Jünger Jesu darf sich nicht davor fürchten, auf dem Wasser zu gehen“ (29) – ja, anders kann man den sich abzeichnenden Zusammenbruch des Kulturchristentums sowie den viel zu optimistischen Versuchen, „positive Theologie“ zu treiben – eine Spitze gegen den lehramtlichen Neuthomismus – wahrscheinlich nicht begegnen.

Über die Liebe bzw. den Gott der Liebe spricht Halík auch – freilich muss der Leser den roten Faden suchen. In lockerer Anbindung an zeitdiagnostische Exkurse wird Jesu „Innovation“, die „untrennbare Verbindung von Gottesliebe und Nächstenliebe“(53) entfaltet. An Christus lernt der Mensch, die Angst zu überwinden, diese alles beherrschende Macht, welche sich als besitzergreifende Liebe zur Welt („Begierde“) manifestiert und die freie Hingabe an die Welt und ihre Erfordernisse verhindert. An ihm lernt der Mensch die „eschatologische Geduld“ angesichts des Bösen und Kontingenten in der Welt. Der Mitmensch ist – so Halík in Anlehnung an Lévinas und die Bibel – eine „Brücke zu Gott“, insofern er das „physische Du“ der Liebe ist, in welcher der ganz Andere erfahrbar wird. Die Liebesbeziehung ist ein „Handlungsplatz der Transzendenz“ (134): „Die Liebe ist so zutiefst menschlich, dass sie wie nichts anderes von der Tiefe zeugt, in der der Mensch mehr als ein Mensch ist, in der der Mensch sich selbst übersteigt.“ (265) Die Liebe ist also letztlich eschatologisches Zeichen, ein „Vorgeschmack der Ewigkeit“ und Anteil an der Liebe des Ewigen zu seiner Schöpfung.

Der Tscheche in Tomás Halík weiß, dass Totalitarismus und Säkularismus die Sehnsucht nach Gott nicht töten können. Der Europäer in Halík möchte das kostbare kulturelle Wissen aus christlichem und säkularem Humanismus bewahren. Der Christ Halík ist überzeugt: Wo Glaube, Hoffnung und Liebe in und unter den Menschen sichtbar werden, ist Gott anwesend – selbst dann, wenn die derzeitige Gestalt des Christentums an ihr Ende kommen sollte.

 

Freiburg: Herder Verlag. 2015

286 Seiten

19,99 Euro

ISBN 978-3-451-34757-3

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