Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Valentin Dessoy / Ursula Hahmann / Gundo Lames (Hg.): Macht und Kirche

Vom 4. Bis 5. Dezember 2019 fand in der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg der 6. Strategiekongress zu dem Thema „Macht und Kirche“ statt, an dem auch der Rezensent teilgenommen hat und der von einem sehr lebendigen und fruchtbaren Austausch geprägt war. Von daher ist die Publikation von dem Kongress schon mit Spannung erwartet worden. Das Buch beginnt, und das war etwas überraschend, mit einem Nachruf. Einer der Gründerväter der Strategiekongresse, Gundo Lames, ist zu Beginn des Frühjahrs 2020 verstorben. Er hat mit seiner Person und seinem Wissen maßgeblich zum Gelingen dieses Formats beigetragen und hat es mitgeprägt.

Es folgen sieben Kapitel, die jeweils die thematischen Schwerpunkte des Kongresses widerspiegeln: in einer Grundlegung werden die durchgehenden Themen des Kongresses dargestellt, neben der Theologie blicken Organisationssoziologinnen und -soziologen sowie –psychologinnen und-psychologen auf die Kirche, eine Umfrage von Führungskräften aus dem katholischen und evangelischen Bereich zum Thema „Kirche und Macht“ wird vorgestellt, Erfahrungen und Orientierungen zum Umgang mit Macht werden in die Diskussion gebracht, organisatorische Implikationen und Optionen werden erörtert und schließlich im Resümee Konklusionen für die Weiterarbeit an dem Thema für die katholische und evangelische Kirche in Deutschland gegeben.

Diese unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema „Macht und Kirche“ sind sehr anregend und innovativ sowie auch irritierend. Gerade der Blick aus dem Bereich der Organisationswissenschaften und aus der Systemtheorie ist für Theologinnen und Theologen oft noch ungewohnt, zumal sie sehr zielgenau und im Sinne einer guten Aufklärung die Eigenheiten vor allem der katholischen Kirche aufzeigen und entsakralisieren. Zudem legen sie den Finger in die Wunde, die die Diskrepanz zwischen ekklesiologischen Ansprüchen mit ihren hohen Idealen und den realen Handlungsmustern der Kirche(n) erzeugt. Hier kann Theologie und Kirche noch sehr viel lernen von dem Blick von außen, der wie ein Brennglas die Aporien und Widersprüche aufdeckt. Dabei zeigt sich, dass der Abschied von der Idee der Kirche als societas perfecta dringend nötig ist, weil sie im Endeffekt für das Heil der Menschen nicht dienlich war, sondern – im Gegenteil – viel Leid auf allen Ebenen brachte.

Zugleich beinhalten viele Beiträge auch die Warnung vor naiven Lösungen zur Rettung der Kirche, die aus ihrem Macht- und Relevanzverlust resultieren und die Wünschbares nicht mit der Realität abgleichen (wollen). Ihre Entmächtigung wird dagegen als Chance gesehen, sich im 21. Jahrhundert von ihren Irrwegen und ihrer Vulneranz zu lösen, um eine evangeliumgemäße kenotische Gestalt auszubilden, die heilend und befreiend (Ottmar Fuchs) ist und sich freigibt für diese Welt.

Dass in Kirche jetzt schon ein anderer Umgang mit Macht eingeübt werden kann, zeigen die Beispiele aus dem inneren Machtzirkel (Generalvikare) und aus dem Ordensleben (Dominikaner), die zur Nachahmung anregen. Weiterhin werden die Grenzen des Kirchenrechts ausgelotet, die viel weiter gefasst sind, als es auf den ersten Blick scheint, und durchaus Partizipationsmöglichkeiten und Gewaltenteilung eröffnen.

Das durchgehend spannende Buch mit seinen vielen bereichernden Artikeln ist sehr zu empfehlen, nicht nur für Leitungs- und Führungskräfte in der Kirche, sondern für alle, die sich in ihr engagieren und für sie interessieren. Es erweitert sehr stark die Perspektiven und regt dazu an, die Ideen weiterzutragen sowie umzusetzen, und macht Lust auf Experimente und die Entdeckung von Neuem. Von daher ist es in einem guten Sinne missionarisch.

Kritisch ist anzumerken, dass angesehene Verlage wie Echter am Lektorat sparen. Das zeigt sich in diesem Buch zum einen an einer Vielzahl von Fehlern in den Texten, die nicht korrigiert wurden; zum anderen wird am Ende eigentlich eine ausführliche und hilfreiche Übersicht der Autorinnen und Autoren mit ihren zentralen Statements geliefert, leider fehlen aber ein paar, was etwas frustrierend ist, weil es interessant gewesen wäre, etwas über sie zu erfahren.

Würzburg: Echter Verlag. 2021
358 Seiten
36,00 €
ISBN 978-3-429-05673-5

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