Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Walter Homolka / Juni Hoppe / Daniel Krochmalnik: Der Messias kommt nicht

Der Titel dieses Buches klingt zunächst sehr provokativ, ist doch die Messiaserwartung wesentlicher Bestandteil der jüdischen Religion, denn sein Kommen wird von vielen Propheten in der Bibel angekündigt. Einer der bedeutendsten jüdischen Religionsphilosophen, Maimonides (1135-1204), schreibt im 12. seiner berühmten 13 Glaubenssätze: „Ich glaube mit voller Überzeugung an das Kommen des Messias, und obgleich er noch säumt, will ich trotzdem jeglichen Tag harren, dass er kommen werde.“ Und auch im Achtzehnbittengebet (Amida) beinhaltet die 14. Bitte die Wiederherstellung Jerusalems und des Davidthrones.

Das Buch umfasst, sieht man von Vorwort und Nachwort ab, drei Beiträge von drei Wissenschaftlern, die unterschiedliche Zeiträume bearbeiten. Juni Hoppe, die die „Messiasvorstellungen im antiken Judentum“ behandelt, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Abraham Geiger Kolleg der Universität Potsdam und führt seit 2017 das Editorial Office des Publikationsprojekts „Encyclopedia of Jewish-Christian Relations“. Daniel Krochmalnik, Professor für Jüdische Religion und Philosophie des Altertums und des Mittelalters an der Universität Potsdam, erläutert in seinem Kapitel „Der Messias im rabbinischen Judentum“ die diesbezüglichen Quellen aus Mischna, Talmud und der Liturgie. Mit seiner Abhandlung „Die Messiasvorstellungen im Judentum der Neuzeit“ ergänzt Walter Homolka die vorhergehenden Beiträge. Er ist Rabbiner und seit 2003 Rektor des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam, seit 2014 Professor für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der „School of Jewish Theology“ an der Universität Potsdam.

Im Vorwort „Jeder Messias, der in der Gegenwart kommt, ist ein falscher Messias“ gibt Walter Homolka historische Beispiele für das Erscheinen vermeintlicher Erlösergestalten. Die Messiaserwartung drückt sich heute noch dahingehend aus, dass, wenn die Bedrängnis für das jüdische Volk besonders groß ist, man sagt, der Messias wird bald kommen. Die Aufgabe des Messias besteht darin, das Volk Israel aus seinem Leid zu erlösen. Eine Erlösergestalt sah man im Laufe der Geschichte in verschiedenen Personen, so z. B. in Simon Bar Kochba, dessen Befreiungskampf gegen die Römer aber 135 n. Z. mit einer Niederlage endete, in Sabbatai Zwi (1626-1676) aus Smyrna, der sich selbst als Messias sah, und in jüngster Zeit wurde dem Lubawitscher Rebbe Menachem Mendel Schneerson (1902-1994) von seinen Anhängern, die aus dem ultraorthodoxen Chabad-Chassidismus stammen, nachgesagt, dass er als Messias in Frage komme. Walter Homolka geht es darum, anhand der jüdischen Geistesgeschichte darzulegen, was zu einer „Umdeutung und Neugewichtung des Messianismus“ im Judentum“ geführt hat.

In ihrem Beitrag über die Messiasvorstellungen im antiken Judentum erläutert Juni Hoppe, dass es in der jüdischen Tradition viele verschiedene „Messiasse“ mit unterschiedlichen Merkmalen und Auswirkungen gegeben habe. Für die einen sollte der Messias ein Erlöser sein, für die anderen ein mächtiger Herrscher. Anhand der von ihr vorgestellten Auszüge aus den Büchern Samuel, Könige, Psalmen und Jesaja vertritt sie die Auffassung, dass der „Māschîaḥ“ (Gesalbter) in der Hebräischen Bibel keine Einzelperson, sondern eine Bezeichnung ist, die auf verschiedene Rollen und Personen anwendbar ist. Auch sei das Wort „Māschîaḥ“ kein einheitlicher Terminus, der in nur wenigen Texten der Bibel auftaucht und dort unterschiedlich gebraucht wird. Nie bezeichne – im Gegensatz zum Christentum – der Māschîaḥ in der Bibel eine eschatologische Figur. Jedoch muss hier angemerkt werden, dass es bezüglich der Messiasgestalt eine Vielfalt an Auslegungen gibt. Eschatologisch ist allerdings die Erwartung der zwei „Messiasse“ in der Gemeinde von Qumran. Der Gesalbte Aarons als Hohepriester steht dort dem Gesalbten Israels als Herrscher gegenüber. In ihrem Fazit macht sie deutlich, dass es aber ansonsten im antiken Judentum die eine Messiasvorstellung nicht gab.

Von Daniel Krochmalnik wird im zweiten Kapitel „Der Messias im rabbinischen Judentum“ vorgestellt, sowie die verschiedenen Formen der „Messiashoffnung“ in Mischna, Talmud, in den Gebeten und der Liturgie. Als maßgeblich für das Messiasbild der Rabbinen sieht er einerseits die bekannte Vision des Propheten Jesaja (Jes. 11,1-6), einige Psalmen und die Psalmen Salomons. Der Autor führt jedoch an, dass es in der rabbinischen Literatur kaum eine Aussage über den Messias gibt, zu der es nicht ein „Andererseits“ gäbe. In der Bibel wird nur an 38 Stellen der Messias erwähnt, im Talmud, der 63 Traktate besitzt, gibt es keinen einzigen über den Messias, nur einzelne Äußerungen. Allerdings behandeln die „Messianischen Blätter (96b – 99a)“ des Traktates „Sanhedrin“ des Babylonischen Talmuds die Frage, wann mit dem Kommen des Messias zu rechnen sei und wovon das Kommen abhänge. Zu den vielen Fragen, die den Messias betreffen, gibt es auch eine Vielzahl an Antworten. Der Verfasser schließt daraus, dass der Talmud den Glauben an den Messias und an die Messianische Zeit freistellt. Er kommt zur Erkenntnis, dass die Messiasvorstellung im Judentum offen, manchmal widersprüchlich und vor allem nicht verbindlich festgelegt sei.

Im dritten Kapitel „Die Messiasvorstellungen im Judentum der Neuzeit“ geht Walter Homolka der Frage nach, welche Rolle die Messiasvorstellung im heutigen, zeitgenössischen Judentum noch spielt. Gibt es ein „zentrales Deutungsmuster“, in welchem das „Erlösungshandeln Gottes“ sichtbar wird, oder ist sie ein „Relikt an der Peripherie,“, das in den letzten Jahren einem Bedeutungswandel unterworfen war. Beginnend mit Maimonides (1135-1204), der in seiner rationalen Vorstellung vom Messias die Wiederherstellung des Reiches David erwartet, schildert er u.a. die Messiasvorstellung der Kabbala. Für Sabbatai Zwi (1626-1676) und seine Anhänger war die Erlösung und das Kommen des Messias nur durch die Ausradierung der alten Welt möglich, wohingegen seit den Anfängen der Haskala (Aufklärung) der Messias eine allgemeine Entpersonalisierung erfuhr. Der Autor erläutert, wie aus der Hoffnung auf den Messias die Idee des Messianismus bzw. einer messianischen Zeit entsteht. Das überkommene Messiasbild – der mystische Messias – wich der Utopie einer messianischen Zeit. Als Meilensteine der Reformbewegung sieht er die Rabbinerkonferenzen zwischen 1843-1885 in Braunschweig, Frankfurt/Main, Breslau, Philadelphia und Pittsburgh, die neue Maßstäbe für ein zeitgemäßes Judentum setzten. Diese „neuen Ansichten“ wurden jedoch von Seiten der Orthodoxie vehement abgelehnt, weil es sich unbedingt gezieme, an das Kommen des Messias zu glauben, denn die Tora würde gebieten, dass man den Worten der Propheten glaube. Am Ende des Kapitels werden weitere Messiaskonzepte von Religionsphilosophen und von Religionssoziologen vorgestellt, wie z. B. von Martin Buber (1878-1965), der in der Begeisterung für den Zionismus einen Beweis sah, dass der Messianismus im Judentum fest verankert sei, und von Schalom Ben Chorin (1913-1999), der von einer „messianischen Idee“ spricht, die im Gegensatz zum Christentum von einer kollektivistischen Erlösung ausgeht und nicht von einer individuellen. Das Resümee von Walter Homolka lautet, dass in der heutigen Zeit die personale Messiashoffnung nicht mehr allgemein vorauszusetzen sei. Im Zentrum stände die Erwartung einer messianischen Zeit.

Im Nachwort „Am Messias scheiden sich die Geister – christliche Reflexionen“macht Markus Striet, Professor für Fundamentaltheologie und Philosophische Anthropologie an der Universität Freiburg, die Unterschiede zwischen der jüdischen und der christlichen Messiaserwartung nochmals deutlich. Er stellt fest, dass der jüdische Religionskontext eine „deutlich höhere Flexibilität“ habe, mit der Messiasvorstellung umzugehen. Er merkt an, dass das vorliegende Buch keine Brücke zwischen Judentum und Christentum bauen kann, jedoch „im Respekt vor der Differenz und in kritischer Auseinandersetzung“ die „Gemeinschaft gerade gestärkt“ werde. Kann man aber angesichts der starken Pluralität im Judentum von der einen Messiasvorstellung sprechen? Viele, gerade orthodoxe Juden warten auf das Kommen des Messias und sie bekräftigen diese Hoffnung am Ende des Morgengebetes. Wer hat Recht? Eine kluge Antwort über das Kommen des Messias wird von Eugene B. Borowitz (1924-2016), einem Religionsphilosophen aus dem Reformjudentum, angeführt: „Die Juden werden wissen, wer der Messias ist, sobald sie ihn sehen. Solange die Sündhaftigkeit nicht aufhört und das Wohlbefinden nicht überwiegt, wissen die Juden, dass der Messias nicht gekommen ist.“

Das Buch ist absolut lesenswert, zeigt es doch, dass scheinbar gewisse Glaubensinhalte im Laufe der Zeit einem Bedeutungswandel unterworfen werden können.

Abschied vom jüdischen Erlöser
Mit einem Nachwort von Magnus Striet
Freiburg: Herder Verlag. 2022
272 Seiten
24,00 €
ISBN 978-3-451-38996-2

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