Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wolf Biermann: Mensch Gott!

In seinem literarischen Werk kommt Wolf Biermann immer wieder auf Gott zu sprechen. Pünktlich zu seinem 85. Geburtstag sind in der renommierten Bibliothek Suhrkamp Lieder und Gedichte zur Gottesthematik von den 1960er Jahren bis in die jüngste Gegenwart erschienen, die, in acht Abschnitte aufgeteilt, von erhellenden biografischen Vorbemerkungen eingeleitet werden. Um einen Eindruck von der poetischen Verve dieses Sprachschöpfers zu bekommen, soll er ausführlich selbst zu Wort kommen. Vergegenwärtigen wir uns zunächst einige Stationen seines Lebens, um seine pointierten Aussagen zu Gott und Mensch biografisch kontextualisieren zu können.

Geboren wurde der Dichter in Hamburg am 15. November 1936 „in einer jüdischen Kommunistenfamilie“ (13). Die Mutter Emma war Maschinenstrickerin und „strenggläubige Atheistin“ (13), der Vater Dagobert ein jüdischer Proletarier; beide kämpften in der Kommunistischen Partei gegen den Nationalsozialismus. Während der jüdische Vater im Zuchthaus sitzt, lässt die atheistische Mutter den kleinen Wolf im Sommer 1939 taufen (groteskerweise von einem Pastor der Deutschen Christen): „Ich bin als ein halber Jude und als ein halber Goj in diese Welt geraten“ (174; vgl. 187). Als Kommunist wurde sein Vater mehrmals eingesperrt, als Jude in Auschwitz 1943 ermordet. Ihm fühlt sich der Sohn zeitlebens verpflichtet und widmet ihm etliche Texte.

Wolf Biermann beschreibt den Kommunismus als eine „gottlose Religion“: „Nach dem Kriege wurde ich in der kommunistischen Kirche konfirmiert. Der heilige Karl Marx war unser lieber Gott. Und Stalin war sein Prophet.“ (13; vgl. 168) Mit der „Flucht“ in das „Arbeiter- und Bauernparadies“ (79) 1953 beginnt für den aufsässigen Poeten ein von schwerer „Gewissensnot“ (103) begleiteter heftiger Kampf mit Partei und Staat, der 1976 zu seiner Ausbürgerung aus der DDR und 1983 zum endgültigen Bruch mit dem „eingeborenen Kinderglauben“ (13, 173; vgl. 77) führt: „Erst in den fremdvertrauten Freiheiten der Demokratie begriff ich, daß jeder Versuch, das Himmelreich auf die Erde zu zwingen, die Menschen unentrinnbar in immer tiefere Höllen zwingt.“ (13) Welches Verständnis von Gott und Mensch vertritt Biermann?

Dem elterlichen Atheismus ist er immer treu geblieben. Auf der Linie von Ludwig Feuerbach begreift er Gott als eine menschliche Projektion, was in den Gedichten „Religionsunterricht“ (2003) – „Wer aber schuf Gott? – Du, das ist klar: / Den hat ja der Mensch erschaffen.“ (130) – und „Gendergottloses Glaubensbekenntnis“ (2020) – „Mein Gott ist halt ‘ne Göttin: stark, schwach, sanft und wild / Sie schuf mich, treu nach meinem eignen Menschenbild“ (163) – unmissverständlich formuliert ist. Daraus zieht Biermann keineswegs die Konsequenz, den Glauben an Gott als Irrglauben zu bekämpfen, denn er ist überzeugt: „Gott ist unser edleres Ebenbild“ (130), unser „ethischer Sextant“ – „Der Mensch darf kein Schweinehund sein“ (172) – und Träger unserer „schmerzlichsten Erfahrungen und kühnsten Hoffnungen“ (17), dem wir auf unserem Weg, bessere Menschen zu werden, ähnlich werden sollen.

„Es ist ganz gleich, woran du glaubst“, „Schnurzpiepe“, heißt es in Biermanns „Credo“ (2001), ausschlaggebend ist vielmehr das Wie, dass nämlich der gelebte Glaube, nicht von „Krampf und giftdurchtränkte[m] Eifer“, sondern von Lachen und Gelassenheit getragen wird (90f). So waren ihm aufrechte Christen Verbündete im Kampf gegen den Stalinismus der DDR und es waren Christen, die 1980 in Polen auf Seiten der Solidarność stritten: „Besser mit Gott im Herzen / Besser mit der Schwarzen Madonna / Revolution gemacht / Als mit Marx im Arsch und zum Hohn / – die Konterrevolution“ (116).

In einem weiteren, im Buch nicht eigens erwähnten Punkt ist der Liedermacher sicherlich auch dem Glauben seiner Eltern treu geblieben, dem grundlosen Glauben an den Menschen: „Ich bin nicht so verrückt an Gott zu glauben – ich / Bin noch verrückter, denn ich glaub an sein Geschöpf“ (42). Mit dieser Brille wirft der Dichter einen illusionslosen Blick auf den Menschen und die von ihm gestaltete Welt: Schreckliche Naturkatastrophen, heißt es im Gedicht „Größe des Menschen“ (1967), „sie alle übertrifft der Mensch / in seiner Zerstörungskraft“ (45) und selbst der „Arme[ ] Teufel“ (1989) muss erkennen: „Ich will die schlimmste Strafe: Ich will / Ein Mensch unter diesen Menschen sein“ (129). Das ist freilich nur die eine Seite von Biermanns Anthropologie, denn zum Menschen hört noch viel mehr: In Auseinandersetzung mit dem „radikalen Negativist“ (27) Emil Cioran heißt es in dem Gedicht „Melancholie“ vom Frühjahr 1989: „wer hoffnung predigt, tja, der lügt. doch wer / die hoffnung tötet, ist ein schweinehund“ (34, vgl. 42). Melancholie, „der lebendig gelebte Widerspruch zwischen Lebenslust und tiefstem Schmerz“ (31f), bildet den Grundton seines Lebens. Gegen tiefe Traurigkeit hilft ihm Johann Sebastian Bachs 21. Kantate (139-147). Zudem setzt er „auf die sanfte Gewalt / der Vernunft“ (114) und preist die Liebe zu Frau und Kind. Menschen scheitern: „scheiter / aber scheiter immer besser“ (95) lautet die Maxime. Der nun alte, lebenssatte Biermann, der „genug gesehn“ (159) hat, reimt in den „Zahlenspielchen mit George Orwell“ (2020): „Ich Wolf bin hundemüd – mein Lieber – und krepier / Bald geht’s mir besser: auf Brechts Wolke neben dir.“ (117)

Biermann ist sich der radikalen Endlichkeit der menschlichen Existenz bewusst und kann als überzeugter Atheist nicht daran glauben, dass ein Gott sie wirklich überwinden wird. Dennoch sieht er in der „Schwindelstory über die himmlische Auferstehung … [des] Rebbe aus Nazareth … die wahrhaftigste Wahrheit des Evangeliums.“ (119) Die Auferstehung Jesu ist ihm „Gleichnis“ oder „Metapher“ „für die unverwüstliche Hoffnung aller elenden Menschen auf den endlichen Triumph über die Finsternisse“ (119). Deshalb lässt er seinen in Auschwitz getöteten Vater in seinen Liedern auferstehen (176, 192), deshalb schreibt er für den Bürgerrechtler Jürgen Fuchs ein wunderbares zweistrophiges „Totenlied“ (1999). Seine Auferstehungshoffnung kleidet der Dichter in Paradoxa: „Im wunderschönen Monat Mai / Als alle Knospen sprangen / Da ist mein Freund den letzten Weg / Nach Nirgendwo gegangen / Dort wartet er nun ohne Hast / Auf mich. Mir kann er trauen: / Ich komme nach! Dann warten wir / Auf unsre lieben Frauen“ (70). Biermann errichtet dem Freund nicht nur ein Epitaph aus Worten, seine Reime sind darüber hinaus eine innerweltliche – poetische – Form der Überwindung menschlicher Endlichkeit.

„Mensch Gott!“ bietet in über siebzig Gedichten lebensgesättigte Literatur, die zu denken gibt – nicht zuletzt im Religionsunterricht.

Berlin: Suhrkamp Verlag. 2021
192 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-518-22523-3

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