Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wolfgang Detel: Warum wir nichts über Gott wissen können

In der Palette religionskritischer Literatur der Gegenwart zeichnet sich die hier vertretene Position dadurch aus, dass sie weder dem Theismus noch dem Atheismus zugeordnet sein will, sondern sich als agnostisch versteht. Diesen von ihm vertretenen Agnostizismus will der Autor als „Religion ohne Gott“ verstanden wissen. Sie wird ganz dem Gefühl zugeordnet, das sich etwa einstellt, wenn wir mit Kant über „den gestirnten Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“ staunen, lässt aber positive Aussagen über Transzendenz nur als Ausdruck poetischer Ergriffenheit zu. Begründet wird dieser Agnostizismus erstens durch die u.a. am Werk Jan Assmanns abgelesene Behauptung, dass der Theismus notwendig in Intoleranz und Gewalt münde, und zweitens durch den versuchten Nachweis, dass die Gott zugeschriebenen Prädikate logische Widersprüche enthalten, so dass eine Wirklichkeit namens Gott undenkbar werde.

Zur Überwindung der genannten Gewaltaffinität formuliert der Autor „die zentrale politische Forderung“ einer „vollständige[n] Säkularisierung aller Staaten“ – eine Forderung, die im Namen einer Religion ohne Gott genau denjenigen universalen Wahrheitsanspruch anmeldet, den formulieren zu dürfen sie doch gerade dem Theismus abgesprochen hat. Bezeichnenderweise taucht Assmann dabei auch nur insoweit auf, wie er sich dem Konzept des Autors fügt. Dass er im Gespräch mit der Theologie seine Thesen wesentlich modifiziert und differenziert hat, findet keine nähere Beachtung.

Die Undenkbarkeit Gottes versucht der Verfasser nachzuweisen, indem er die Paradoxien erarbeitet, in welche die Versuche münden, die Unendlichkeit Gottes oder seine Charakterisierung als Geist zu denken. So macht er etwa auf das Problem aufmerksam, dass sowohl die Reihe aller natürlichen als auch die aller geraden Zahlen unendlich ist, letztere aber eine Teilmenge von ersterer darstellt. Die Mathematisierung dieses Problems übersieht freilich, dass das biblische Bewusstsein von der Un-Endlichkeit Gottes sich nicht analog zur Behauptung eines Zahlenstrahls entwickelt, der sich im Unendlichen verliert. Vielmehr entsteht es in schmerzlichen Erfahrungsprozessen, mit denen das Gottesbewusstsein diejenigen Verendlichungen abstreift, die das menschliche Bewusstsein ihm überzieht, wenn es Gott als eine Entität unter anderen auffasst. So setzt sich z.B. der Monotheismus im Babylonischen Exil durch die Erfahrung durch, dass der Glaube an einen Gott, der nur zu Lasten anderer Menschen und Völker behauptet wird, nicht der wahre Gott sein kann, und so wird diejenige Verendlichung Gottes überwunden, die diesen als exklusiven Besitz Israels bestimmt.

Wie sehr derjenige Gott, dessen Undenkbarkeit der Verfasser zu zeigen beabsichtigt, von vorneherein in religionskritischer Absicht entsprechend modelliert ist, zeigt die hier vorliegende Auseinandersetzung mit Kant. Zutreffend lesen wir: „Religion ist für Kant […] eine Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote.“ (23) Aber dies ist bei Kant, anders als der Verfasser meint, nicht deshalb der Fall, weil sich moralische Weisungen besser durchsetzen lassen, wenn wir die Stimme Gottes in ihnen vernehmen, sondern weil sich die Vernunft in der praktischen Durchsetzung ihrer Interessen in Antinomien verstrickt. Und diese lassen sich nur dadurch überwinden, dass die Vernunft einen Gott postuliert, der als der gemeinsame Urheber des Natur- und des Sittengesetzes zu bestimmen ist. Insofern ist gerade Kant ein Beispiel dafür, wie eine Vernunft, die nicht nur religions-, sondern auch selbstkritisch ist, erneut vor die Aufgabe stellt, Gott zu denken.

Hamburg: Felix-Meiner-Verlag. 2018
118 Seiten
16,90 €
ISBN 978-3-7873-3441-4

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