Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wolfgang Huber: Dietrich Bonhoeffer

Dietrich Bonhoeffer hat vor allem in christlichen Kreisen globale Anerkennung und Bedeutung erlangt. Die Literatur zu Bonhoeffer – im akademischen wie auch im breiteren populären Bereich, von Studien einzelner Aspekte seiner Theologie über biografische Porträts bis hin zu christlicher Erbauungsliteratur – ist kaum noch überschaubar. Daher ist die Frage durchaus berechtigt, warum man sich für ein weiteres Bonhoeffer-Buch interessieren sollte. Im Fall von Wolfgang Hubers erschienenem Werk lautet die Antwort schlicht und ergreifend, weil es sich wirklich lohnt.

Wer sich zum ersten Mal mit Bonhoeffer beschäftigt, um ein vollständiges, akkurates und gegenwartsbezogenes Bild zu erarbeiten, kann getrost zu diesem Buch greifen. Auch der schon versierte Bonhoeffer-Kenner findet hier klärende Ausführungen zu oft missverstandenen oder immer noch kontroversen Konzepten in Bonhoeffers Ethik-Fragmenten und den Gefängnisbriefen, wie beispielsweise religionsloses Christentum, nicht-religiöse Interpretation biblischer Begriffe, mündige Welt oder Schuldübernahme. Ebenso wird der viel diskutierte angebliche Widerspruch zwischen Bonhoeffers Pazifismus und seiner Rolle im politischen Widerstand, vor allem seine Zustimmung zum Hitlerattentat Zwecks Regierungssturz, von Huber hervorragend und mit klarer Orientierung an Bonhoeffers Schriften behandelt. Bonhoeffer vertrat keinen „prinzipiellen oder radikalen Pazifismus“, sondern ein „Friedenshandeln“ als „aktives Tun, als Frieden machen“ und schloss daher auch die Ausnahmemöglichkeit ein, gewaltsam zu handeln, um Hitlers Todesmaschinerie zu stoppen und Frieden zu ermöglichen (150).

Der Buchtitel „Auf dem Weg zur Freiheit“ reflektiert Hubers Überzeugung, dass Bonhoeffers Theologie im Wesentlichen ethischen Charakter hat und dass man diese Ethik „als einen Weg zur Freiheit lesen kann, ja sogar lesen muss“ (231). Die vornehmlich ethische Qualität seines Denkens darf allerdings nicht als moralisches Regelwerk missverstanden werden, dessen Geboten man zur Befriedigung des Gewissens Gehorsam leistet. Huber demonstriert, dass Bonhoeffers Beschreibung christlichen Lebens stattdessen in einem christologisch bestimmten Wirklichkeitsverhältnis verankert ist, nämlich in der Menschwerdung Gottes, womit „die Gotteswirklichkeit in die Weltwirklichkeit eingeht“, um die Welt mit Gott zu versöhnen (226). Für Bonhoeffer ist das menschliche Leben in allen seinen Dimensionen eine Antwort auf die Inkarnation, eine Nachfolge Christi, die ihre Kraft aus der Gemeinschaft mit Gott zieht, um in freier Verantwortung das Wagnis einzugehen, Gottes Liebe zum Menschen und zu seiner Schöpfung in weltlichem Handeln zu realisieren. Christlich leben dient damit der Gestaltwerdung Christi im Lebensvollzug des Gläubigen, um getragen durch die Gemeinschaft mit Gott in freiem Handeln der Menschheit Gottes, in Christus gleich zu werden. Bonhoeffers Beschreibung christlicher Existenz ist daher sowohl Verantwortungsethik bzw. „Ethik verantwortlicher Freiheit“ (211) wie eine Gestaltungsethik, nämlich eine „Ethik der Menschwerdung“ (229). Wahres Menschsein bedeutete für Bonhoeffer, frei zu sein für den Genuss des Lebens, in Verantwortung für den Nächsten.

Aufgrund derselben Wirklichkeitsvorstellung, dass in der Menschwerdung Gottes die Schöpfung angenommen, gerichtet, und erneuert wurde, skizzierte Bonhoeffer eine Naturrechtslehre und dementsprechende Menschenrechte, die seiner Zeit weit voraus waren. Wie Huber zeigt, ist Bonhoeffer auch hier ein Ausnahmetheologe, indem er in der Schöpfung eine natürliche, von Gott gewollte Lebensgestalt annimmt – wohlwissend, dass deutsche Christen den Nationalismus und die Rassenideologie durch Schöpfungsordnungen rechtfertigten.

Es lohnt sich, Wolfgang Hubers Buch zu lesen, weil es Bonhoeffer in seiner theologischen und existentiellen Tiefe und Breite darstellt – und dies durch elegante Formulierungen, die jeden Fachjargon vermeiden, und ohne Einbuße von Tiefe. Der Leser profitiert von Hubers klarer – und mitunter durchaus kritischer – Beleuchtung Bonhoeffers, die auf seiner lebenslangen Beschäftigung mit diesem Denker beruht. Alle zentralen Themen Bonhoeffers (Biographie, Kirche, Bibelinterpretation, politischer Widerstand und Pazifismus, Ethik, Religionslosigkeit und Säkularismus) bespricht Huber nicht nur im Hinblick auf den gesamten Forschungstand, sondern auch mit der Kenntnis und Leidenschaft eines langjährigen pastoralen Engagements für die Kirche. Huber präsentiert einen Bonhoeffer, dessen tiefes Gottvertrauen und kritische Denkfähigkeit ein bleibendes und vorbildliches Vermächtnis darstellen.

Auf dem Weg zur Freiheit. Ein Porträt
München: C.H. Beck Verlag. 2019
336 Seiten m. s-w Abb.
26,95 €
ISBN 978-3-406-73137-2

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