Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Wolfram Kinzig: Christenverfolgung in der Antike

Über Märtyrer zu sprechen – Menschen, die für ihren Glauben ihr Leben gegeben haben – hat an Aktualität gewonnen. Das hat natürlich mit den Gräuel des NS-Regimes zu tun, welche ja nicht nur Juden und Christen, sondern kleinere Bekenntnisgruppen wie die Zeugen Jehovas betrafen. Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein hat sich die Landkarte von Orten und Geschehnissen der „Verfolgung um des Glaubens willen“ auf traurige Weise gefüllt. Hinzu kommt, dass Papst Franziskus das Augenmerk auf die „Märtyrer von nebenan“ lenkt – Frauen und Männer, die oft auf unspektakuläre Weise als Zeuginnen und Zeugen des Glaubens sterben, wie in der Krisenzeit des Corona-Virus etliche Seelsorger im Norden Italiens.

Dass dies „Martyrium“ genannt wird, führt in die Anfangszeit der Kirche zurück. Bis ins 4. Jahrhundert hinein waren Christen eine verfolgte Minderheit im Römischen Reich. Dies änderte sich bekanntlich erst durch die sogenannte „Konstantinische Wende“, welche nicht nur das Christentum zur „erlaubten Religion“ erklärte, sondern dieses als staatstragende Macht in das öffentliche Leben integrierte.

Wolfram Kinzig, Lehrstuhlinhaber für Kirchengeschichte an der evangelischen theologischen Fakultät in Bonn, geht in seinem 124 Seiten umfassenden Band „Christenverfolgung in der Antike“ aus der Beck-Reihe „Wissen“ den Gründen für die Verfolgung in den ersten Jahrzehnten nach. So steht am Beginn ein Blick auf die Zeit, in der Christen noch als eine Untergruppierung des Judentums wahrgenommen wurden und die entsprechenden Privilegien genießen konnten. Denn wie das Judentum, so war auch der Ein-Gott-Glaube (Monotheismus) der Christen das Haupthindernis, sich in die generell religiös liberale, römische Gesellschaft eingliedern zu können. Als jedoch Christen begannen, eigenständig zu missionieren, und Juden aufgrund der Aufstände im Heiligen Land dort marginalisiert wurden, entstand der neuartigen Religion gegenüber eine misstrauisch bis feindliche gesellschaftliche Stimmung, die sich zusammenbraute aus einem Mix von Vorwürfen (Nicht-Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, okkulte Praktiken in Gottesdiensten, philosophische Kritik, Schuldzuweisungen „Sündenbock“) und – jedoch erst gegen Ende der Verfolgungszeit – gesetzlichen Grundlagen der Verfolgung.

Kinzig zeichnet die einzelnen Phasen der Verfolgung auf der Grundlage von historischen Quellen minutiös und geografisch differenziert nach. Dabei würdigt er kritisch mit der Verfolgungszeit verbundene Allgemein-Annahmen wie z.B. das Martyrium von Petrus und Paulus in Rom, dessen Quellen sich nur bis ins zweite Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Die reichhaltige apologetische Verteidigungs-Literatur, welche zu den ersten großen christlichen Darstellungen der Glaubenslehre gehört, findet ebenfalls ihre Erwähnung. Und im Schlusskapitel geht es um einen wichtigen Teilaspekt der Kirchengeschichte dieser Zeit: Wie sollte die Kirche mit den Christen umgehen, die in der Verfolgung ihren Glauben geleugnet haben, im Anschluss aber wieder am kirchlichen Leben teilhaben wollten? Hier gab es, regional verschieden und je nachdem ob eine weitere Verfolgung sich bereits am Horizont abzeichnete, eher liberale wie auch rigorose Regelungen. Zu Letzteren zählt die im Buch ebenfalls erwähnte erste Gegenkirche christlicher Geschichte, die Donatisten in Nordafrika. Ihre Bewegung entstand aus einem Protest von Laien-Christen aus niederen sozialen Schichten gegen ein Gebaren von Klerikern, die sich während der Verfolgung aus ihren Gemeinden zurückgezogen hatten und danach meinten, einfach ihr Amt weiter ausüben zu können.

Schon die bisher beschriebenen Teilaspekte der Verfolgungszeit weisen deren Bedeutung für das Selbstverständnis und die sich entwickelnde Lebensweise von Christen auf. Will man dabei über die von Kinzig gewählte Betrachtungsweise reiner Faktengeschichte hinausgehen, so drängt sich das weite Feld der Spiritualität auf. Bereits die Verwendung des Begriffs „Märtyrer – Glaubenszeuge“ geht ja über das reine Geschehen Verfolgung – grausamer Tod hinaus. Es bedurfte einiger Jahrzehnte, bis sich die Gesamtkirche der vom christlichen Glauben her gedeuteten Bedeutung dieses Geschehens bewusst wurde. Die von Kinzig mit historischer Distanz kritisierte Legendenbildung um den Tod etwa von Ignatius von Antiochien oder Polycarp von Smyrna führte zu einem neuen Selbstverständnis: Märtyrer waren die eigentlichen Vorbilder-Heiligen. Im Akt des Martyriums selbst war das Eingreifen der Gnade Gottes deutlich, das Sterben wurde so zu einer Verähnlichung mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen.

Ganz am Schluss relativiert der Autor dann noch eine konfessionell sehr umstrittene Frage: Begann mit dem Ende der Verfolgungen auch der Niedergang der Kirche? Hier verweist Kinzig einerseits auf die Kultur der Nächstenliebe, die in der staatlicherseits vereinnahmten Kirche weiter bestand, wie andererseits auf das merkwürdige Faktum, dass Christen, die Verfolgung erlebt hatten, sehr schnell ein intolerantes Verhalten gegenüber Andersgläubigen an den Tag legten.

München: C.H.Beck Verlag. 2019
128 Seiten m. zwei Karten
9,95 ‎€
ISBN 978-3-406-74009-1

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