Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Stefan Seidel: Nach der Leere

Wir erfahren in der Kirche die Leere: leere Kirchen, Menschen, denen der Glaube nichts mehr sagt, den Zusammenbruch vertrauter Gewissheiten. Wir stehen im Schatten der Säkularisierung. Glauben wir selbst noch an Gott? An welchen Gott kann man noch glauben? Brauchen wir Religion? Muss man in der Kirche sein oder kann man jenseits institutioneller Bindungen ein religiöses oder spirituelles Leben führen? Vieles ist im Umbruch. Doch was wird kommen – nach der Leere? Was könnte, was sollte kommen? Der Theologe und Journalist Stefan Seidel widmet sich in seinem neuen Buch diesen heute so zentralen Fragen und versucht, Konturen eines Glaubens nach der Leere aufzuzeigen – in einer dichten, oft poetischen und zugleich glasklaren Sprache.

Ohne Scheu diagnostiziert Seidel das Leben unter säkularen...

Dieter Henrich: Furcht ist nicht in der Liebe

Eine verborgene religiöse Musikalität kennzeichnet das reichhaltige Schrifttum des deutschen Philosophen Dieter Henrich (1927-2022). Besonders seine Werke über den Deutschen Idealismus fanden große Beachtung und über die Philosophie hinaus Resonanz. Henrichs Denken lässt sich lesend als geistig weiträumig erfahren, in dem – wie nun in der letzten von ihm publizierten Schrift – ein Ausblick über die Endlichkeit hinaus möglich erscheint.

Behutsam und sensibel nähert sich der Philosoph dem titelgebenden Satz aus dem ersten Johannes-Brief an, den er existenziell als berührend und ergreifend wahrnimmt. Menschen, die in Not seien, vielleicht geistlich obdachlos und zugleich sehnsüchtig nach Gott sind, lassen sich von der „überwältigenden Einsichtigkeit“ ansprechen. Oder sollte eine...

Gesine Schwan: Warum ich die Hoffnung nicht aufgebe

Vielen dürfte die vielfach ausgezeichnete Politikwissenschaftlerin, Universitätspräsidentin, Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Polen, Leiterin der Grundwertekommission der SPD und amtierende Präsidentin der Berlin Governance Platform Gesine Schwan vor allem durch ihre zweimalige Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten und 2019 für den Parteivorsitz der SPD bekannt sein. Anlässlich ihres 80. Geburtstags ist nun ein Gesprächsband erschienen, der ihren christlichen Glauben als Grundlage ihres wissenschaftlichen und politischen Engagements herausstellt. Im Gespräch mit Holger Zaborowski, Theologe, Philosoph sowie Klassischer Philologe und Lehrstuhlinhaber für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der...

Etty Hillesum: Ich will die Chronistin dieser Zeit werden

Immerhin ganze 80 Jahre nach ihrer Ermordung in Auschwitz ist nun endlich auch auf Deutsch jenes Tagebuch ungekürzt erschienen, das Kennern längst als außerordentliches Dokument nicht nur der Zeitgeschichte, sondern authentischer Spiritualität bekannt ist. Die junge Niederländerin jüdischer Herkunft Esther Hillesum ist trotz der mörderischen Machenschaften der Nazis in der Tat das geworden, was sie werden wollte: genaue Chronistin der perfiden Einschnürung der Juden im besetzten Amsterdam und den Niederlanden, weit mehr aber noch Kronzeugin einer unglaublichen Humanität und Spiritualität in finsteren Zeiten, Vermächtnis und Verpflichtung zugleich. Ihr Tagebuch erzählt, zusammen mit den zahlreichen Briefen, von einem faszinierenden Schnellkurs in menschlicher Reifung, weiblicher...

Walter Baier: Marxismus. Geschichte und Themen einer politischen Theorie

„Dieses Buch soll kein Lehrbuch sein“ (11), heißt es in der Einleitung. In weiten Teilen ist es dies aber dann doch. Walter Baier präsentiert uns – immerhin zuverlässig und gut lesbar – zunächst die klassischen Lehrstücke eines recht orthodox verstandenen Marxismus. Keine Rede davon, dass dieser „Marxismus“ erst eine Erfindung von Friedrich Engels war, der im Bestreben, die von ihm und Karl Marx entwickelten Theorieelemente für den Zeitgeist seines Jahrhunderts salonfähig zu machen, ein in sich geschlossenes, dogmatisches Lehrgebäude schuf. Mit seinem „Anti-Dühring“ hat Engels aus einer kritischen Gesellschaftstheorie eine recht fragwürdige Weltanschauung gemacht und damit eine m. E. fatale Rezeptionsgeschichte des Marxʼschen Werkes eingeleitet. Und Baier fügt sich im 21. Jahrhundert...

Volker Reinhardt: Montaigne. Philosophie in Zeiten des Krieges

Es ist gewiss nicht nur seine Einschätzung der 40-tägigen Quarantäne während der Pest, in der sich Michel de Montaigne (1533-1592) als unser Zeitgenosse erweist: In dieser Zeit „tobt sich die Einbildungskraft erst richtig aus und macht die Gesunden krank“ (zit. 243). Gewiss stünde er jedoch nicht auf der Seite der Querdenker, dazu hat er ein zu ausgeprägtes Bewusstsein für die Bedeutung einer stabilen – was damals hieß: aristokratischen und katholisch begründeten – Ordnung. Gleichzeitig fordert er diese durch seinen Skeptizismus heraus, kritisierte vor allem die Korruption (120) und wurde deswegen häufig als Nestbeschmutzer angesehen. So wurde einerseits seine ansehnliche Karriere, die er bis zum Magistraten und Bürgermeister von Bordeaux gebracht hatte, wegen seiner ironischen...

Paul Kirchhof: Religion und Glaube als Grundlage einer freien Gesellschaft

Der Jura-Professor und ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Paul Kirchhof widmet sich mit seinem Buch – in den Erfahrungen mit einem „kämpferischen Laizismus“ – der Frage, ob es einen freiheitlichen Staat ohne Religion geben kann. Der erste Teil besteht aus Vorlesungen des Autors. Im zweiten Teil sind Beiträge der Mitglieder der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg mit Repliken des Autors abgedruckt.

Paul Kirchhof beginnt sein Werk mit grundlegenden Ausführungen zur „Freiheit“. Er beleuchtet zunächst Eigenheiten und Gemeinsamkeiten der Staatsrechtswissenschaft und der Theologie und betont, dass Freiheit nicht Beliebigkeit ist, sondern auch Respekt für die Freiheit des anderen und der Rechtsgemeinschaft erfordert – ein Aspekt, der (modifiziert) im...

Peter Moore: Die Neuerfindung der Religion

Der Titel des Werkes ist höchst ambitioniert. „Reinventing Religion“, so heißt es im englischen Original, und der Leser merkt rasch, dass es dem Autor weniger darum geht, das so altehrwürdige wie komplexe System „Religion“ tatsächlich „neu zu erfinden“, als vielmehr darum, es zu revitalisieren, Spreu vom Weizen zu trennen.

Für Peter Moore (*1945), der vier Jahrzehnte lang Religionswissenschaft in Kent lehrte, lässt sich Religion nur zum Preis einer irreführenden Einfachheit auf eine Formel bringen. Gleichwohl reagiere, so seine Annahme, jede religiöse Gemeinschaft auf Erfahrungen des Heiligen und Transzendenten. Die Weise dieser Reaktion profiliere dann eine Religion. Näherhin entdeckt Moore vier essentielle Dimensionen: Erleben, Praxis, Theorie, Institution. Bevor er diese und andere...