Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Achatz von Müller: Dante. Imaginationen der Moderne

Imagination ist, wie Achatz von Müller zusammen mit Ernst Cassirers Danteinterpretation herausstellt, das Gegenteil von machtvoller Prophetie und hält so in poetischer Weise die Geschichte offen (122). Die hier vorgestellte Lektüre präsentiert Dante als Inspirationsquelle für unsere spätmoderne Epoche gerade dadurch, dass er sich in seinen Imaginationen von Machiavelli, der für die Alternative eines „Willens zur Macht“ steht, abhebt. Diese werden vom Autor in einer durch Jacob Burckhardt inspirierten Lektüre in acht, keiner spezifischen Systematik folgenden Formen ausgeführt: Moderne, Stadt, Dante, Staat, Geld, Geschichte, Zeitgenossen, Porträts. Dadurch wird Dante in der „Rolle eines wegweisenden Inspirators der Moderne“ (18) präsentiert und den heutigen Lesern als „Zeuge d[]er Krise des...

Martin Walser: Lieber träumen wir alles, als dass wir es sagen

Drei alte weis(s)e Männer treffen sich in einem wunderschönen Haus direkt am Ufer des Bodensees. Arnold Stadler (68 J.) und Michael Albus (77 J.) besuchen Martin Walser (95 J.) in Nussdorf und sprechen zwei Tage mit dem Schriftsteller. Sie haben im Sinn, eine „dialogische Biografie“ Walsers aufzuschreiben. Was gäbe es nicht alles zu erfahren, wenn man einen so hochproduktiven und hochbetagten Autor, der inzwischen sein 96. Lebensjahr erreicht hat, ins Gespräch ziehen kann! Diese Chance wird respektvoll und intensiv genutzt. Walser lebt nunmehr ganz in der Gegenwart. Die Erinnerung ist kein kontinuierlicher roter Faden in die eigene Vergangenheit: „Zurückblicken – ich weiß nicht, was das ist.“ (11) Dafür gibt es aber „Rückblicksblitze“. Sie ziehen in Sekundenschnelle vorbei und...

Guido Morselli: Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit. Roman

Dieser Roman ist ein sprödes Meisterwerk, das so etwas wie eine anthropologische und weltanschauliche Formalität zum Ausdruck bringt. Diese Formalität ermöglicht es, den Roman unter den unterschiedlichsten weltanschaulichen Gesichtspunkten zu interpretieren (über die Hochreligionen und einen atheistischen Existenzialismus bis hin zum Anthropofugalismus). Passend zur Pandemie und zur Klimakrise wurde dieses Buch, das die Konsequenzen eines plötzlichen globalen Verschwindens der Menschheit erzählt, mit entsprechenden aktuellen apokalyptischen Bezügen in vielen Tageszeitungen und Feuilletons besprochen.

Hier meine Lesart: Der Roman kann in religionsgeschichtlicher Perspektive auch als (fast) traditionelle apokalyptische Jenseitsreiseerzählung verstanden werden. Zwar hat die traditionelle...

Philippe Jaccottet: Clarté Notre-Dame

Wenn ein Buch aus dem Französischen trotz meisterhafter Übersetzung eines nicht zufällig preisgekrönten Übersetzerduos (Elisabeth Edl und Wolfgang Matz wurden 1994 Preisträger des Petrarca-Übersetzerpreises) in seiner deutschen Ausgabe den französischen Originaltitel Clarté Notre-Dame beibehält, muss es dafür einen Grund geben, denn so etwas wie Denglisch (eine beinahe selbstverständliche Verwendung des Englischen im deutschen Sprachgebrauch von heute) ist bei dem Französischen weder der Fall noch ist es mit ihm so leicht machbar, nachdem das Englische dem Französischen als Lingua franca der Globalisierung inzwischen klar den Rang abgelaufen hat. Der Grund für die Beibehaltung des Originaltitels kann im Buch liegen oder außerhalb von ihm. Im Buch läge er z.B., wenn der Ausdruck...

Jakob Matthiessen: Tod oder Taufe. Die Kreuzfahrer am Rhein

Mainz, im Sommer des Jahres 1096: Christliche Kreuzfahrer belagern auf ihrem Weg nach Jerusalem die Stadt Mainz und fordern alle Juden zur Taufe auf – falls sie sich weigern, droht ihnen der Tod. Dies ist das Setting der Erzählung, die sich im Wesentlichen auf die Geschehnisse an sechs heißen Junitagen konzentriert und somit äußerst dicht konzipiert ist. Basierend auf historischen Ereignissen während des ersten Kreuzzugs, aber erzählerisch verdichtet und um fiktive Elemente und Figuren ergänzt, legt Jakob Matthiesen hier seinen ersten Roman vor.

Die Schauplätze der Handlung wechseln geschickt und mit Sinn für Spannungsbögen immer wieder zwischen den Geschehnissen im Lager der Kreuzfahrer und den Ereignissen in der Stadt beziehungsweise in der jüdischen Gemeinde und bei ihren christlichen...

Cornelia Steinfeld: Die Bibel in Formen und Farben

Zwei Kreise, ein gefährlich spitzes Dreieck und feine farbliche Differenzierungen in Weiß, Schwarz, Rot und Pastellbraun. Mehr braucht es ganz offenbar nicht, um die Erzählung von Kain und Abel buchstäblich auf den Punkt zu bringen. Cornelia Steinfelds Buch „Die Bibel in Formen und Farben“ hält genau das, was der Titel verspricht: In klarer Farb- und Formensprache visualisiert die Grafikdesignerin 40 ausgewählte Erzählungen aus dem Alten und Neuen Testament, indem sie diese mit den elementaren Mitteln des Designs auf das Wesentliche reduziert.

Das ist gleichermaßen so genial wie ungewohnt. Schließlich haben wir uns – gewissermaßen mit dem Segen des Zweiten Konzils von Nicäa (787) – in unseren Sehgewohnheiten an die gegenständlichen, figürlichen bisweilen sogar realistischen Darstellungen...

Peter Handke: Das zweite Schwert

Der „Maigeschichte“ von Peter Handke ist ein Bibelzitat aus dem Lukasevangelium (Lk 22,36-38) vorangestellt, das im Kontext der Passionsgeschichte Jesu überliefert und mit dem eschatologischen Verweis überschrieben ist: „Die Stunde der endzeitlichen Entscheidung". Jesu Anweisung an seine Jünger, für den Erlös eines Mantels ein Schwert zu kaufen, mag bei seinen Gefolgsleuten die irrige Annahme erhärten, dass der Errichtung des messianischen Reiches eine mit Waffen auszutragende Entscheidungsschlacht vorangehen werde. Als die Jünger Jesus darauf hinweisen, dass sie im Besitz von zwei Schwertern seien, antwortet ihr Rabbi: „Genug davon!“ (Übersetzung: Jerusalemer Bibel, Freiburg 12. Aufl. 1985.) In der Einleitung zu Handkes Erzählung wird der Lukasvers mit den Worten: „Das genügt!" übersetzt...

Michaela Kopp-Marx, Martin W. Ramb und Holger Zaborowski (Hg.): Die Christus-Trilogie zwischen Bibel, Traum und religiöser Erfahrung

Ein Geheimtipp! So wurde 1991 der erste Band der Christustrilogie von Patrick Roth, die Novelle „Riverside“, unter christlichen Lesern und Leserinnen weitergegeben. Mittlerweile, 30 Jahre später, gibt es eine breite Roth-Rezeption im deutschen Sprachraum und speziell in der Theologinnenwelt – nicht zuletzt dank der vielfältigen Initiativen von Martin Ramb, Holger Zaborowski und dem Eulenfisch. Die Anziehungskraft Roths liegt aber auch darin begründet, dass der gebürtige Karlsruher, der lange Jahre in Los Angeles gelebt hat und nun wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, ein ungemein sympathischer Mensch ist, der sich mit Offenheit und Neugier auf Tagungen und Lesungen dem Gespräch aussetzt, wie man aufgrund des lebendigen Fotos auf dem Cover des vorliegenden Buches ahnen kann. Wenn man...