Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Etty Hillesum: Ich will die Chronistin dieser Zeit werden

Immerhin ganze 80 Jahre nach ihrer Ermordung in Auschwitz ist nun endlich auch auf Deutsch jenes Tagebuch ungekürzt erschienen, das Kennern längst als außerordentliches Dokument nicht nur der Zeitgeschichte, sondern authentischer Spiritualität bekannt ist. Die junge Niederländerin jüdischer Herkunft Esther Hillesum ist trotz der mörderischen Machenschaften der Nazis in der Tat das geworden, was sie werden wollte: genaue Chronistin der perfiden Einschnürung der Juden im besetzten Amsterdam und den Niederlanden, weit mehr aber noch Kronzeugin einer unglaublichen Humanität und Spiritualität in finsteren Zeiten, Vermächtnis und Verpflichtung zugleich. Ihr Tagebuch erzählt, zusammen mit den zahlreichen Briefen, von einem faszinierenden Schnellkurs in menschlicher Reifung, weiblicher...

Barbara Janz-Spaeth / Hildegard König / Claudia Sticher: Zeigt Euch!

Das Gesicht der Frau auf dem Cover ist profillos, eines aber fehlt ihr nicht: Ein Mund, der es ihr ermöglicht zu sprechen, zu erzählen, (an-) zu klagen, zu loben und zu singen. Eben das wird den biblischen Frauen in diesem vielseitigen Porträtband durch die Autorinnen ermöglicht: Ihnen wird eine Stimme gegeben, die ihnen die (zumindest überwiegend) männlichen Autoren der biblischen Texte nicht gewährt haben, indem sie sie zu namenlosen Statistinnen degradierten. Dass weibliche Perspektiven auf Gott und Welt damit zu kurz kommen, ist nicht nur für die Menschen biblischer Zeiten problematisch. Was solche Verdeckungen bewirken, kann in der für Frauen prekären Wirkungs- und Auslegungsgeschichte an unzähligen Beispielen nachvollzogen und gegenwärtig immer noch erfahren werden. Dabei sind diese...

Franz-Xaver Kaufmann: Katholische Kirchenkritik

 

„Kirche begreifen“ – so hieß 1979 der erste Sammelband des Schweizer Soziologen Franz Xaver Kaufmann mit Aufsätzen zu Formen katholischer Vergesellschaftung und Institutionalität in der Moderne. Der nicht durch Weihrauch getrübte Blick auf die kirchliche Sozialgestalt, auf Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, auf Verwaltungshandeln sowie auf Verflechtungsprozesse von Kirche und Gesellschaft war in den 1970er Jahren eine Form, die Impulse des Konzils aufzunehmen und zu fragen, wie es mit dem katholischen Christentum in Europa unter den Bedingungen der entfalteten Moderne weitergehen könne. Das Schicksal solcher innerkirchlichen Dienste katholischer Sozialwissenschaftler im Zeitalter der Pontifikate von Wojtyla und Ratzinger ist bekannt.

Nun ist erneut ein Sammelband mit Aufsätzen und...

Konrad Hilpert / Jochen Sautermeister (Hg.): Kirchliche Sexualmoral vor dem Abgrund?

Das Positionspapier des synodalen Weges „Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“ vonAnfang September 2022 (https://www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/Dokumente_Reden_Beitraege/SV-IV/SV-IV_Synodalforum-IV-Grundtext-Lesung2.pdf) hat die Zustimmung der überwältigenden Mehrheit der Delegierten, auch der Mehrheit der Bischöfe gefunden, wurde aber dennoch nicht verabschiedet, weil Beschlüsse nach dem Statut des synodalen Weges einer Zweidrittelmehrheit der Bischöfe bedürfen, die knapp nicht zustande kam. Durch das Buch zieht sich als roter Faden die Absicht, das Positionspapier umfassend mit Argumenten aus den wichtigsten Teilfächern der Theologie und mit Blick auf die zuständigen Humanwissenschaften zu rechtfertigen.

Konrad Hilpert greift im...

Thomas Großbölting: Die schuldigen Hirten

Im Jahr 2022 erschien eine umfangreiche Studie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Münster und dem amtskirchlichen Umgang damit, an welcher Thomas Großbölting zusammen mit vier anderen Autoren mitgearbeitet hat (Bernhard Frings / Thomas Großbölting / Klaus Große Kracht / Natalie Powroznik / David Rüschenschmidt: Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945, Freiburg 2022). Mit der vorliegenden Monografie legt der Autor die Quintessenz dieser Studie vor. Anders als der Haupttitel zunächst suggeriert, blickt er dabei nicht nur auf die „Hirten“, also klerikale Täter und deren Vorgesetzte in der Bistumsleitung, sondern auch auf das Umfeld, in dem Missbrauch vorkam, auf Strukturen und systemische Zusammenhänge....

Friedrich Wilhelm Graf: Ernst Troeltsch. Theologie im Welthorizont

Der Münchner emeritierte Professor für Systematische Theologie und Ethik Friedrich Wilhelm Graf erinnert in seiner umfangreichen Biographie an einen der brillantesten Intellektuellen des deutschen Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik: den Theologen, Kulturphilosophen und politisch engagierten Zeitgenossen Ernst Troeltsch. In dessen Leben und Werk spiegeln sich die sozialen und geistigen Umbrüche der Zeit sowie ihre Folgen für die christliche Existenz und das theologische Denken. Troeltsch setzt sich diesen Wandlungsprozessen als Denker und politisch handelnder Zeitgenosse aus. So entsteht das Bild eines außergewöhnlichen Intellektuellen im Spannungsfeld von Glauben und modernem Denken, dessen Interessenvielfalt und Intensität seiner Engagements ihn zu einer innerlich...

Paul Kirchhof: Religion und Glaube als Grundlage einer freien Gesellschaft

Der Jura-Professor und ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Paul Kirchhof widmet sich mit seinem Buch – in den Erfahrungen mit einem „kämpferischen Laizismus“ – der Frage, ob es einen freiheitlichen Staat ohne Religion geben kann. Der erste Teil besteht aus Vorlesungen des Autors. Im zweiten Teil sind Beiträge der Mitglieder der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg mit Repliken des Autors abgedruckt.

Paul Kirchhof beginnt sein Werk mit grundlegenden Ausführungen zur „Freiheit“. Er beleuchtet zunächst Eigenheiten und Gemeinsamkeiten der Staatsrechtswissenschaft und der Theologie und betont, dass Freiheit nicht Beliebigkeit ist, sondern auch Respekt für die Freiheit des anderen und der Rechtsgemeinschaft erfordert – ein Aspekt, der (modifiziert) im...

Peter Moore: Die Neuerfindung der Religion

Der Titel des Werkes ist höchst ambitioniert. „Reinventing Religion“, so heißt es im englischen Original, und der Leser merkt rasch, dass es dem Autor weniger darum geht, das so altehrwürdige wie komplexe System „Religion“ tatsächlich „neu zu erfinden“, als vielmehr darum, es zu revitalisieren, Spreu vom Weizen zu trennen.

Für Peter Moore (*1945), der vier Jahrzehnte lang Religionswissenschaft in Kent lehrte, lässt sich Religion nur zum Preis einer irreführenden Einfachheit auf eine Formel bringen. Gleichwohl reagiere, so seine Annahme, jede religiöse Gemeinschaft auf Erfahrungen des Heiligen und Transzendenten. Die Weise dieser Reaktion profiliere dann eine Religion. Näherhin entdeckt Moore vier essentielle Dimensionen: Erleben, Praxis, Theorie, Institution. Bevor er diese und andere...