Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Karl Josef Kuschel / Shahid Alam: Goethe und der Koran

Seit Katharina Mommsens Buch „Goethe und die arabische Welt“ von 1988 ist Karl Josef Kuschels Werk ein zweiter Versuch, in einer Monografie Goethes Verhältnis zur Welt des Orients zu erhellen. Als ausgezeichneter Kenner des interreligiösen Dialogs legt Kuschel den Akzent auf Goethes Beziehung zum Propheten Mohammed und zum Koran, während der allgemeine kulturhistorische Horizont am Rande bleibt.

In einem ersten Teil des Buches stellt Kuschel sämtliche Texte zusammen, die der Dichter innerhalb eines halben Jahrhunderts, von 1772 an bis zur endgültigen Gestalt des „West-östlichen Divans“ 1827, mit Anspielungen auf den Koran und auf den Propheten des Islams geschaffen hat. Die frühesten Zeugnisse sind Auszüge aus dem Koran, die Goethe überwiegend aus D. F. Megerlins Koran-Übersetzung „Die...

Christian Philipsen in Verbindung mit Thomas Bauer-Friedrich und Paul Kaiser (Hg.): Sittes Welt

 

„Wie jemand an die Jungfrau Maria und an Jesus Christus glaubt, so war ich der Meinung, die Arbeiterklasse ist die revolutionäre Kraft. Ich möchte weiter daran glauben, aber es gelingt mir nicht.“ (500) Dieses Zitat ist einem Interview von 1995 mit dem tief enttäuschten einstigen DDR-Malerfürsten Willi Sitte (1921-2013) entnommen. Die angeblich „wissenschaftliche Weltanschauung“ des Marxismus-Leninismus im Rückblick auf untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat nur eine Meinung oder ein Glaube?

Diese Frage führt hinein in „Sittes Welt“, mit der sich das „Kunstmuseum Moritzburg Halle l Saale“ vom 3.10.2021 bis zum 9.1.2022 in einer fulminanten Retrospektive auseinandergesetzt hat. Nach den Retrospektiven zum 50. und 60. versteht sich die zum 100. Geburtstag als „eine erste sachliche,...

Mauro Fosco Bertola / Christiane Solte-Gresser (Hg.): An den Rändern des Lebens

Im Hinblick auf Dz̑evad Karahasans Roman „Der nächtliche Rat“ schreibt Hanna Matthies: „Erst die Begegnung mit den Toten bringt ihm (dem Protagonisten, L. H.) seine Handlungsfähigkeit und seine Lebendigkeit zurück.“ (213) Der Titel des Sammelbandes ist passend gewählt: Die Ränder des Lebens zeigen sich dort, wo man seine Handlungsfähigkeit verliert. Wir können paradoxerweise durch den Tod allem eine Bedingung stellen: Entweder dieses oder jenes geschieht oder ich töte mich. Wir können aber nicht sagen: Ich lasse mich nur geboren werden oder ich sterbe nur, wenn … Die Ränder eines Lebens haben ihre eigene Bedingungslosigkeit und so wundert es nicht, wenn sie im künstlerischen Bereich wichtige Themen werden. Und weil der Traum auch eine Form der seine eigene Realität bedingenden...

Ludmila Peters: Religion als diskursive Formation

Unbestreitbar kennt der Dialog von Religion und Literatur vielfältige Facetten. Entgegen dem vermeintlich unaufhaltsamen Dahinschmelzen des Religiösen durch Säkularisierungsprozesse ist ein weit verbreitetes und beständiges Interesse der Gegenwartsliteratur an religiösen Motiven, Fragestellungen und Konstellationen zu beobachten. Bemerkenswert ist dabei der Umstand, dass die Untersuchung religiöser Sujets vornehmlich und breit von einer literaturinteressierten Theologie betrieben wird, während sich die literaturwissenschaftliche Seite bislang eher verhalten an diesem Dialog beteiligte.

Ludmila Peters, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn, bearbeitet dieses Desiderat mit einer überaus anregenden...

Rüdiger Sünner: Zeige deine Wunde. Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys

Der Strom intellektueller Deutungen zur Kunst ist gewaltig; die Auffassung des Ästhetischen als eines „sinnlichen Scheinens der Idee“ (Georg W.F. Hegel) öffnete Schleusen, die die Abstraktion der Moderne und ihre konzeptuellen Ansätze noch weiter aufstießen.

Rüdiger Sünner, 1953 in Köln geborener und heute in Berlin tätiger Filmemacher und Musiker, stellt seine sensible spirituelle „Spurensuche“ im hochkomplexen und vielgestaltigen Gesamtwerk Joseph Beuys‘ eigenwillig mitten in diesen Strom hinein – ohne der akademischen Deutungslogik zu folgen. Was er erspürt hat, präsentiert der eindrückliche Film „Zeige deine Wunde“ von 2015. Fundierte Erkenntnisse sowie teils sehr persönliche Empfindungen und Gedanken schrieb der freie Autor während der Film-Produktion nieder und veröffentlichte sie...

Jochen Hörisch: Hände. Eine Kulturgeschichte

„Wer nicht handelt, wird behandelt.“ Handel ist keineswegs nur eine Kategorie der Wirtschaft, und erst recht führen die Händel oder die sprichwörtlichen Handgreiflichkeiten in eine andere Welt. Bei Licht besehen ist also das Körperorgan „Hand“ weit mehr als eine raffinierte Vorrichtung zum Greifen. Haptisch geht es im Leben überhaupt zu, und Be-Greifen ist alles. Wer sich, mit Hilfe dieses Buches erst recht, erst einmal auf die Suche macht, in Alltagsleben und Sprachgebrauch die Bedeutung der Hände zu erkunden, wird überraschende Entdeckungen machen: Wer denkt schon bei Manieren oder Manager an die Programmatik ihrer sprachlichen Herkunft? Wer assoziiert mit Emanzipation das Faktum, dass wir Menschen erst einmal in die Hände anderer geraten, bevor wir unser Leben hoffentlich selbst in die...

Ivan Ivanji: Hineni. Roman

„Hineni“ lautet der Titel des Abraham-Romans von Ivan Ivanji. Das aus dem Hebräischen übersetzte „Hier bin ich“ ist nach biblischer Überlieferung die Antwort des Ahnvaters auf den Anruf Gottes und Beginn eines langen, intensiven Dialogs. In Ivanjis Roman ist das „Hier bin ich“ weniger Antwort als verzweifelte Selbstvergewisserung eines den nächtlichen Sternenhimmel betrachtenden Ratlosen. Der Autor lässt aus dem Mund Avrams, wie er den Ahnvater alttestamentlich nennt, dessen Lebensgeschichte als Konstruktion seines Selbstentwurfs erzählen. Gott bleibt für Avram ein Schweigender, ein Unergründlicher. Vielleicht ist dies den eigenen Erfahrungen des 1929 geborenen jüdischen Autors, einem Überlebenden der Shoa, geschuldet.

Der Anlass, diesen Roman zu schreiben, war für Ivanji ein Erlebnis,...

John Ironmonger: Der Wal und das Ende der Welt. Roman

„Homo homini lupus“, „Der Mensch ist des Menschen Wolf“. Dieser Satz, der ursprünglich vom römischen Dichter Plautus (ca. 254-184 v. Chr.) stammt, ist für den englischen Philosophen Thomes Hobbes (1588-1679) die wichtigste anthropologische Konstante. Im rohen Naturzustand ist jeder Mensch ein gewalttätiges, triebgesteuertes, egoistisches und gieriges Wesen, so dass jeder gegen jeden kämpft. Nur durch einen starken Staat, der das Gewaltmonopol hat, werden die Menschen gezähmt, damit sie nicht wieder in ihr mörderisches Verhalten zurückfallen. Der Staat wird dabei für Hobbes zum Leviathan, zum sterblichen Gott, der dafür sorgt, dass Frieden und Ordnung eingehalten werden. Stirbt der Leviathan oder wird er schwach, fallen für Hobbes die Menschen wieder in den alten Naturzustand zurück.

Diese...